Historical Weihnachtsband 1992
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Sie nahm den Becher und preßte ihn gegen die Brust. Jetzt nur die Tränen zurückhalten. Sie würde stark bleiben. Nein, sie konnte gar nicht mehr weinen, verdammmt. Einmal war es genug. Zuerst ihre Mutter, dann ihren Vater und schließlich mußte sie auch noch ihren Ehemann betrauern. Mehr Tränen konnte sie wirklich nicht aufbringen.
8. KAPITEL
Der Januar wurde milder als erwartet. Die Yankee-Patrouillen durchkämmten weiterhin das Gebiet, doch auf der Farm blieb alles ruhig. Sara schrieb diesen Umstand ihrem gnädigen Schicksal zu und weigerte sich, daran zu glauben, daß Ralph Wort gehalten hatte.
Annies Jüngster bekam einen bösen Hautausschlag, und Sara gab ihren letzten Zucker für das Kind her. Sie wußte, daß Annie das gleiche für Becky getan hätte.
Im Februar regnete es viel. Dann kam Schnee und hüllte das Land in eine dünne Flaumschicht. Zur selben Zeit erhielt Sara Gewißheit, daß sich ihre schlimmste Befürchtung und gleichzeitig die süßeste Hoffnung erfüllte. Sicher, es war das letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte. Die Leute würden sie meiden und hinter vorgehaltener Hand über sie reden. Becky hätte bestimmt unter der Schande zu leiden. Und dennoch, jedesmal, wenn sie ihre Hände auf den noch flachen Bauch legte, spürte sie eine stille trotzige Freude in sich hochsteigen. Der Gedanke an das zarte, junge Leben in sich, das dort langsam heranwuchs, machte sie irgendwie froh.
„Robert, du hättest ihn auch gern gehabt", sagte sie eines Nachmittags leise vor sich hin, als sie für Becky das Springseil schlug, das sie an einem Zaunpfosten angeknüpft hatten. Sicher, Robert würde es akzeptiert haben. Schließlich hatte sie die Wahrheit nicht gekannt. Und als sie alles wußte, war es schon zu spät gewesen.
Der Kleine würde bestimmt nach den Jones schlagen, genau wie Becky, dachte sie eine Woche später, während sie darauf wartete, daß die ständige Übelkeit endlich nachließ. Es war wohl Jimmys Aufgabe, die Gegend mit blonden, grauäugigen kleinen Beils zu bevölkern, sollte der Krieg erst einmal zu Ende sein.
Das Glück wendete sich langsam gegen die Konföderierten. Sie hatten zu viele Männer verloren, und diejenigen, die noch übrig waren, hatten Hunger und liefen in Lumpen. Manche kämpften sogar barfuß, und das mitten im Winter.
Die Yankees hatten Nahrung und Kleidung im Überfluß, und der Süden ging am Bettelstab. Die Truppen des Nordens hielten jeden Hafen und alle Transportwege zu Lande und zu Wasser in ihrem Würgegriff. Die Getreidemühlen, die sie noch nicht zerstört hatten, standen still. Denn wer konnte schon Korn ernten, wenn es kein Saatgut mehr gab und keine Maultiere für die Arbeit? Weizenmehl kostete mittlerweile zweihundert Dollar das Barrel, wenn man es überhaupt bekam. Und Schuhe waren überhaupt nicht mehr zu kaufen. Selbst für die Kinder nicht. Dabei wuchsen sie meist schneller, als sie die Sohlen durchlaufen konnten.
Sara ertappte sich dabei, daß sie begann, Freunde und Bekannte zu hassen, die sich einverstanden erklärten, für die Blauröcke zu arbeiten, nur um etwas zu essen zu bekommen. Selbst ihre beste Freundin Annie Walston war sich nicht zu schade dafür!
Doch dann wurde Annie verhaftet, und Sara vergaß ihren Groll. Sieben Wochen vorher hatten die Yankees beschlossen, die große Walston-Farm zu ihrem Hauptquartier zu machen, da sie so günstig am Fluß lag und sogar einen kleinen Hafen besaß. Annie hatte keine andere Wahl gehabt, als entweder ihre Kinder zu nehmen und zu gehen oder sich mit den Yankees zu einigen. Schließlich stimmte sie zu, für die Soldaten zu kochen und zu putzen, ihre Wäsche zu waschen und zu flicken. Als Gegenleistung bekam sie etwas zu essen sowie zwei kleine ungeheizte Räume unter dem Dach für alle acht Walstons zusammen.
Seitdem hatte Sara sie nicht mehr gesehen. Sie war sehr besorgt, vor allem wegen Margaret, Annies dreizehnjähriger Tochter, denn das schüchterne hübsche Mädchen wuchs langsam zu einer jungen Frau heran.
Eines Tages kam der neunjährige Matthew auf ihren Hof gerannt. Er war völlig außer Atem. „Mama ist weg!" keuchte er und sah Sara mit schreckgeweiteten Augen an.
„Bitte hilf uns, Miss Sara. Sie haben sie heute morgen abgeholt und wollen uns nicht sagen, wann sie wiederkommen darf."
Sara wurde übel. Doch das hatte nichts mit den Veränderungen in ihrem Körper zu tun. Ihr erster Gedanke galt Jimmy. Ob die Bürgerwehr Annie wohl befreien konnte, bevor es zu spät war? Wer
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