Historical Weihnachtsband 1992
Augen. „O verflixt, Sara. Vielleicht wollte ich es auch so haben. Ich weiß es selbst nicht. Nur eines ist gewiß. Die ganze Kämpferei hat mich mit der Zeit immer mehr angeekelt. Und was die Sache noch schlimmer machte, war der Gedanke, daß irgendwo hier draußen Verwandte von mir leben könnten. Ich bin nie auf Patrouille gegangen. Doch wer hätte verhindern können, daß nicht doch eines Tages ein Cousin oder wer weiß wer vor meinen Gewehrlauf kam?"
„Wer weiß, vielleicht bist du tatsächlich schon einem begegnet. Aber mehr sage ich nicht."
„Das erwarte ich auch nicht", entgegnete er. Sie befanden sich nun immerhin auf entgegengesetzten Seiten in diesem tödlichen Konflikt zwischen Nord und Süd.
„Aber Sara, eines mußt du mir glauben. Ich war nie darauf aus, dich zu täuschen. Als ich mit den rasenden Kopfschmerzen aufwachte und du mich Robert nanntest, habe ich wie selbstverständlich angenommen, das wäre mein wirklicher Name."
„Und all das andere hast du auch genommen, ohne nachzudenken?" fragte sie ruhig.
Ralph betrachtete das ihm mittlerweile so vertraute Gesicht, Saras festes kleines Kinn, die großen dunkelgrauen Augen und das leicht zerzauste hellbraune Haar. Er seufzte. „Ja, all das andere auch." Und dabei habe ich mein Herz verloren, ob es mir nun Glück bringt oder nicht, fügte er in Gedanken hinzu.
Sie wurden erneut durch den nervösen Corporal unterbrochen. „Sir, wenn sie gestatten. Ich fühle mich wirklich nicht wohl da draußen auf der Veranda. Am hellichten Tag. Und der Sumpf ist zu nah. Vielleicht liegen diese Wasserteufel schon in einem Hinterhalt und lauern nur darauf, daß sie losschlagen können."
„Ich komme, Junge. Verstecken Sie sich solange im Holzschuppen, wenn Sie Angst haben."
„Angst!" zischte der junge Mann verächtlich. Doch Ralph war schon aufgestanden und hatte schweigend die Tür vor ihm geschlossen.
„Becky, umarmst du deinen . . . Onkel Ralph zum Abschied?"
„Du bist jetzt nicht mehr mein Daddy?" fragte das Kind und sah ihn mit großen Augen an.
„Nein, mein Schatz. Ich bin dein Onkel, aber das ist auch nicht schlecht."
Tatsächlich? Sein eigener Onkel war ein verfluchter alter Geizkragen gewesen, der ihn außerdem mit einer Lüge hatte aufwachsen lassen.
„Lesen Onkel kleinen Mädchen Geschichten vor und spielen mit ihnen Teegesellschaft?"
„Ja, und noch viel mehr. Onkel schreiben Briefe, schicken Geschenke und kommen auch zu Besuch, wenn sie eingeladen sind."
„Mama und ich laden dich bestimmt ein, nicht wahr, Mom?" fragte Becky, die sich wieder sicher in Ralphs Umarmung fühlte. Sie sah ihre Mutter um Bestätigung heischend an.
„Manchmal ist so etwas nicht möglich, mein kleiner Schatz", entgegnete Sara sanft.
„Jetzt geh, und zieh Emma ein neues Kleid an. Wir essen gleich Abendbrot."
„Bleibt Onkel Ralph noch zum Essen da?"
„Nein, mein Kind. Nur du und ich und Emma. So wie es immer war."
„Aber du kommst doch wieder, Da . . . Onkel Ralph, oder?" fragte Becky ängstlich.
Er sah zu Sara hinüber und nickte dann langsam. „Ja, mein Schatz. Ich komme wieder", bestätigte er dem Kind und meinte gleichzeitig die Mutter.
Als Ralph mit der Witwe seines Bruders allein war, schwand wieder ein Teil seiner Selbstsicherheit. „Sara? Darf ich wiederkommen?" fragte er vorsichtig.
„Versprich dem Kind nichts, was du nicht halten kannst", zischte sie.
„Der Krieg wird nicht ewig dauern", warf er grimmig ein.
„Nein, das wird er nicht. Und je eher ihr Yankees wieder nach Hause geht und uns in Ruhe laßt, desto besser."
„Die Sklaverei muß einmal ein Ende haben, Sara."
„So? Nur zu deiner Information, ich habe nie einen Sklaven besessen. Und Robert auch nicht. Und trotzdem mußte er in einem verlausten Yankee-Gefängnis elendig umkommen. Eines sage ich dir. Es gibt genug Geschäftemacher im Norden, die sich als Reeder im Sklavenhandel skrupellos die Taschen gefüllt haben. Das ist genauso verwerflich."
„Sara, ich will mich nicht mit dir streiten. Es hat zu allen Zeiten und überall in der Welt Sklaven gegeben. Und so wird es auch weiterhin sein. Wir in unserem Land jedoch haben jetzt die Möglichkeit, diese menschenunwürdigen Zustände zu beenden."
„Wenn ihr aus dem Norden uns nicht vorher alle umbringt oder mit euren Steuern erdrückt."
Sie war am Ende ihrer Kraft und litt furchtbar. Nur zeigen würde sie es nicht. Dazu war sie zu stolz. „Du willst bestimmt deine Pistole zurück, für den Fall, daß ihr unterwegs
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