Historical Weihnachtsband 1992
diesen tückischen Rebellen begegnet. Ich hole sie dir, wenn du mir sagst, wo du sie hingelegt hast. Wieder unter das Mehlfaß?" Sie mußte ihn loswerden, bevor sie völlig die Fassung verlor. Wenn die Tränen erst einmal flössen, würden sie nicht so schnell wieder versiegen.
Ralph hielt sie fest, als sie an ihm vorbeiging. Er drehte sie zu sich und preßte sie gegen seinen Körper. „Verdammt, Sara. Willst du mir nicht endlich zuhören? Ich bin nun einmal leider nicht dein Robert. Das ist unabänderlich. Aber eines schwöre ich dir. Ich liebe dich genauso wie er, mehr als ich jemals in meinem Leben einen Menschen geliebt habe. Du siehst mich heute nicht zum letzten Mal. Das verspreche ich dir."
Sara hielt sich stocksteif in seiner Umarmung. Ihr Herz hörte fast auf zu schlagen, als sein Mund plötzlich ihren berührte, doch sie zeigte keine Reaktion. Er löste seine Lippen wieder und fluchte verhalten.
„Störrisches Frauenzimmer", murmelte er gegen ihre Wange gepreßt. „Ein richtiger Dickschädel bist du. Aber wenn du glaubst, daß wir fertig miteinander sind, irrst du dich gewaltig. Ich komme zurück, sobald ich kann."
„Ich werde nicht hier sein", sagte sie trotzig.
Ralph verstärkte den Druck seiner Umarmung. Sie fühlte sich fast überwältigt von dem angenehm männlichen Duft, der von seinem Körper ausströmte. Wie hatte sie ihn nur liebgewonnen in dieser einen Woche.
„Du wirst hier sein", versicherte er ihr. „Und ich komme zurück. Das ist ein Versprechen, Sara. Nun küß mich anständig, bevor dieser verdammte Heißsporn wieder hereinstürmt und mich davonschleppt."
Zu ihrem eigenen Entsetzen tat sie es tatsächlich. Sie wandte ihm das Gesicht zu, öffnete die Lippen und vereinigte ihren Mund mit seinem. All die Einsamkeit der vergangenen Jahre, all die Liebe, Sehnsucht und Leidenschaft eines ganzen Lebens flammten neu in ihr auf. Sie gehörte ihm in diesem Augenblick, und beide wußten es.
Schließlich löste er sich mit beinahe zitternden Händen langsam von ihr und hob den Kopf. „Ich muß jetzt gehen, Sara. Aber eines sollst du noch wissen. Dein Haus ist sicher. Ich werde dafür sorgen, daß ihr nicht belästigt werdet. Und ich komme zurück, sobald ich kann."
An der Tür hielt Ralph nochmals inne und drehte sich um. Sara stand immer noch unbeweglich da und bemühte sich angestrengt, den Rücken gerade zu halten. Im gleichen Moment, als er sie ansah, drehte sie den Kopf. Sie hielt die Hand vor das Gesicht. Deshalb konnte er ihre Tränen nicht sehen. Doch das war auch gar nicht nötig. Die Geste sagte genug. Es würde ihn ewig schmerzen, daß er ihr so viel Kummer zugefügt hatte.
Ralph sah sich ein letztes Mal in dem kleinen Raum um, als ob er die ärmliche, aber anheimelnde Atmosphäre in sein Gedächtnis eingraben wollte. In der Ecke stand immer noch der windschiefe dürre Weihnachtsbaum, denn Becky hatte protestiert, als sie ihn wegräumen wollten. Sein Blick fiel auf den Kamin mit den Blasebälgen, dem zerbeulten Kupferkessel und dem schon unzählige Male verbogenen und wieder geradegeklopften Schürhaken.
Da drüben stand der kleine runde Tisch mit Saras Flickkorb darauf und gleich daneben der niedrigere Kindertisch, den seine Leute für Becky passend zurechtgesägt hatten. Sein Blick wanderte weiter zu Saras Lieblingsplatz, dem großen Ohrensessel, und zu dem Sessel seines Bruders.
Ralph spürte, wie es ihn innerlich fast zerriß. Der Abschied fiel ihm schwer. Doch dann öffnete er die Tür, trat nach draußen und schloß sie leise hinter sich. „Ich bin soweit, Corporal."
Der junge Soldat schien die Stimmung seines Lieutenant zu spüren und folgte schweigend. Erst als sie außer Sichtweite des Hauses kamen, räusperte er sich.
„Hm . . . Sir, es wäre vielleicht besser, wenn Sie mir das Gewehr geben würden.
Nicht daß ich respektlos sein will, aber gesetzt den Fall, wir begegnen einer Patrouille, erscheint es mir klüger zu sein. Sie sind ohne Uniform, und es wirkt unverfänglicher, wenn sie glauben, Sie wären mein Gefangener, Sir."
Immer noch wie betäubt, stimmte Robert zu. Welchen Unterschied machte es schon? Ihm war im Augenblick alles egal.
Im Haus zurückgeblieben, starrte Sara Roberts Tasse auf dem Tisch an. Es stand noch der Bodensatz vom Morgenkaffee darin. Und am Henkel waren fettige Fingerabdrücke zu sehen, wahrscheinlich vom Gewehröl. Wenn sie daran dachte, daß seine Lippen vor kurzem noch den Rand dieser Tasse berührt hatten, genauso wie ihre . .
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