Historical Weihnachtsband 1992
heimgekehrten Ehemann zu sehen. Nicht nur ihre Augen, sondern auch ihr Herz kannte mittlerweile der Unterschied zwischen beiden Männern.
„Was hast du . . . Warum bist du . .." Keine besonders freundliche Begrüßung, dachte sie. Aber es war besser, nicht zu früh zu hoffen. „Ich meine, bist du auf der Durchreise?" flüsterte sie.
„Wenn du darauf bestehst."
Wie gut er aussah. Ja, sein Gesicht wirkte älter und auch magerer. Doch in seinen Augen stand ein intensives Leuchten, das ihr bis ins Herz drang.
Sie empfand so viel Liebe und Wärme für ihn wie nie zuvor, doch gleichzeitig fühlte sie sich auch sehr unsicher. WTenn er jetzt wieder ging und sie erneut allein ließ, würde sie sterben.
„Ich habe mein Pferd vor dem Haus angebunden. Es ist noch gesattelt. Wenn du willst, daß ich gehe, genügt ein Wort."
„In der Scheune wäre Platz. Wir haben zwar kein Heu, aber Jimmy hat gestern etwas Riedgras gemäht, und ich könnte dem Pferd eine Handvoll getrockneten Mais geben. Wie . . . ich meine, möchtest du vielleicht etwas zu essen? Du hast doch bestimmt Hunger. Von wo kommst du, Ralph? Wolltest du nur kurz bei uns vorbeisehen?"
Ralph war sich der Bedeutung ihrer Frage nur zu schmerzlich bewußt. Genauso wie es ihn tief berührte, endlich wieder ihr geliebtes Gesicht zu sehen. Die Art, wie ihr Haar in Strähnen aus dem für die Nacht geflochtenen Zopf hervorquoll, und ihre grauen Augen, die so wunderbar warm und hell strahlen konnten. Ihre Wangen waren schmaler geworden, und die Brüste voller. Und ihr Mund wirkte verführerischer als jemals zuvor.
„Sara, ich . . ." begann er.
„Ralph, ich . . ." fing sie zur gleichen Zeit zu sprechen an.
Dann lagen sie sich in den Armen. Sara lachte und weinte zugleich, und Ralph betete, sein Bein möge ihn nicht im Stich lassen, bis sie die Sitzbank hinten im Zimmer erreichten.
Als sie schließlich nebeneinander saßen, gewann ihre Scheu voreinander wieder die Oberhand. Sie wollten beide gleichzeitig sprechen, dann lachten sie verlegen.
Ralph legte ihr die Hand auf den Mund, streckte sein steifes Bein aus und sah sie an.
„Sara, laß mich ausreden. Danach kannst du entscheiden, ob ich wieder gehen soll.
Du brauchst es nur zu sagen. Ich werde deine Entscheidung respektieren und dich nie wieder belästigen. Allerdings möchte ich Becky manchmal sehen, falls du nichts dagegen hast. Sie ist schließlich meine nächste Verwandte." Sein Blick fiel auf den Weihnachtsbaum in der Ecke. Genauso schief wie der, an den er sich erinnerte.
„Nein Ralph."
Der Schreck stand ihm in den Augen. „Nein?" wiederholte er leise.
„Sie ist nicht deine nächste Verwandte."
Er brauchte einen Moment, um das Gesagte zu verarbeiten. Sein Gesicht wirkte plötzlich fahl und welk. „Robert ist also doch zurückgekommen? Das freut mich für dich, Sara."
So freudig bewegt klang er gar nicht, dachte sie und mußte gegen den Drang ankämpfen, ihn tröstend in die Arme zu nehmen, so wie sie es manchmal mit ihren Kindern tat. „Robert ist nicht zurückgekehrt. Was wir über ihn gehört haben, stimmt. Er wurde bei Fort Hatteras gefangengenommen und starb an seinen Verletzungen."
„Wer ist dann . . ?"
Sara stand auf und nahm ihn bei der Hand. Ralph erhob sich verwirrt und folgte ihr in das kleine Kinderschlafzimmer. Erst jetzt bemerkte sie, daß er ein Bein nachzog.
Plötzlich wurde ihr einiges klar. Doch darüber konnten sie später reden. Zuerst mußte er seine Söhne sehen. Am liebsten hätte sie das Geheimnis für sich behalten, bis sie Gewißheit besaß, daß er sie um ihrer selbst willen liebte. Doch so egoistisch konnte sie nicht sein. Ob er sie noch begehrte oder nicht, er hatte ein Recht darauf, zu erfahren, daß er Vater geworden war.
In der einen Ecke des Zimmers schlief Becky. Sie lag auf dem Bauch, den Kopf halb versteckt unter dem Kopfkissen. So lag sie immer. Damit sie nichts von den Schüssen hörte, vermutete Sara. Wenn der Sommer kam, würde sie es ihr abgewöhnen müssen, doch bis dahin schadete es nichts.
Ralph betrachtete Becky lange. Dann berührte er zart den Zopf, der aus dem schmalen Bett baumelte.
Sara legte ihre Hand auf seine und zog ihn zu der breiten Wiege hinüber. Sie spürte, wie ein Ruck durch ihn ging und er den Druck seiner Finger verstärkte. „Sara?"
flüsterte er.
Sie lächelte. Er sah, wie ihre Augen im Lichtschein glänzten, der von der Lampe im Korridor hereinfiel. „Ich habe sie Walter Mallory und Robert Henry genannt. Das ist dir
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