Historical Weihnachtsband 1992
Gesicht mit den unregelmäßigen Zügen zeigte, daß alle Mißverständnisse zwischen ihnen ausgeräumt waren. Als er die kräftigen Arme ausstreckte, schmiegte sie sich ohne Zögern an ihn. Gemeinsam schauten sie auf die Gärten des Herrenhauses hinaus, während die ersten Sonnenstrahlen einen neuen Tag ankündigten.
Ende
Cornelia Neville lehnte sich auf ihrem Schreibtischstuhl zurück, legte die Feder weg und seufzte erleichtert. „Begegnung in Cornwall" war beendet und ihrer Meinung nach nicht schlecht geraten. Sie war froh, endlich fertig zu sein. Ihr Verleger drängte sie schon seit Wochen, das Manuskript abzuliefern. Die treuen Leser verlangten nach einem neuen romantischen Roman von Luciana Montrachet, und die durfte sie nicht enttäuschen.
Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihr Gesicht, währed sie geistesabwesend die verkrampften Finger bewegte, um sie zu lockern. Inzwischen hatte sie sich mit Luciana regelrecht angefreundet, obwohl ihr die Dame gelegentlich einiges Kopfzerbrechen bereitete. Luciana — ursprünglich ein Produkt von Cornelias Phantasie — wurde mit jedem Buch, das ihren Namen trug, realer und lebendiger.
Jedesmal, wenn sich Cornelia zum Schreiben hinsetzte, hatte sie das Gefühl, sich in Luciana Montrachet zu verwandeln, eine feurige, leidenschaftliche Frau, die viel freier war als sie selbst. Als Luciana unternahm sie weite Reisen, suchte aufregende Abenteuer, lernte außergewöhnliche Menschen kennen, überstand drohende Gefahren und sah am Ende einer verheißungsvollen Zukunft entgegen. Und das alles erlebte Cornelia, ohne ihr ruhiges, nach Lavendel duftendes Boudoir zu verlassen, das einen Ausblick auf den Gramercy Park im Herzen New Yorks bot.
Draußen vor ihrem Fenster rumpelten Kutschen vorbei. Die Hufe der Pferde klapperten auf den Pflastersteinen, die von den Resten des in der vergangenen Nacht gefallenen Schnees noch glatt waren. Zeitungsjungen riefen Schlagzeilen aus, die sich mit den Goulds, Astors und Vanderbilts beschäftigten. Damen in Wintermänteln und glänzenden Knopfstiefeln passierten auf dem Weg zu den Geschäften am unteren Broadway das Haus. Im Park, der von einem hohen, schmiedeeisernen Zaun umgeben war, spielten unter den wachsamen Blicken ihrer Nannies die Kinder und träumten von den Geschenken, die ihnen der Weihnachtsmann bald bringen würde.
Alles verlief völlig normal, so wie das Leben, das Cornelia bisher geführt hatte.
Allerdings waren ihre Mutter, ihre beiden jüngeren Brüder und sie beinahe gezwungen gewesen, diese Art von Leben aufzugeben.
Als Cornelia sich jene Tage vor vier Jahren ins Gedächtnis zurückrief, flog ein Schatten über ihr Gesicht. Damals hatte ein plötzlicher Ansturm auf die Banken, hervorgerufen durch das Gerücht, die Geldinstitute seien hoch verschuldet, beinahe zu einem völligen Zusammenbruch der Wirtschaft geführt. Das nachfolgende Chaos hatte viele Opfer gekostet, darunter ihren Vater, der einem Herzanfall erlegen war, als er mit der Zerstörung seines Lebenswerkes konfrontiert wurde.
In dieser Zeit, in der die Menschen verzweifelt um ihre Existenz kämpften, wurde Luciana Montrachet in Cornelias
Phantasie geboren. Unglaublicherweise wurde Cornelias erstes Buch ein Erfolg. Es hatte den Lesern gefallen und sich gut verkauft. Der Erlös hatte die Gläubiger von der Tür des Hauses am Gramercy Park ferngehalten. Die folgenden Romane hatten die finanzielle Sicherheit der Familie gewährleistet.
Cornelia mußte heimlich schreiben, um ihre liebevolle, aber sehr auf gute Formen bedachte Mutter nicht zu schockieren. Melanie Neville lebte in dem Glauben, daß ihr verstorbener Gatte Investments getätigt und Aktien gekauft hätte, deren Erträge der Familie den Lebensunterhalt garantierten.
Genaugenommen bestand für Cornelia keine Notwendigkeit mehr, auch weiterhin zu schreiben, aber Tatsache war, daß es ihr Spaß machte. Sogar jetzt, während sie sich den Nacken rieb und betrübt ihre tintenbefleckten Finger musterte, wußte sie, daß sie das nicht aufgeben konnte.
Doch jetzt war keine Zeit für solche Überlegungen. Ihre Mutter erwartete sie unten zum Nachmittagstee, und in ihrer momentanen Aufmachung konnte sie dort kaum erscheinen.
Eine halbe Stunde später eilte Cornelia, frisch gewaschen und umgekleidet, die Treppe hinunter. Sie war groß und schlank, hatte volles, kastanienbraunes Haar und einen hellen Teint, der leider zu Sommersprossen neigte.
Daß sie mit sechsundzwanzig Jahren älter war als die meisten
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