Historical Weihnachtsband 1993
Hände. Nachdem er sich gesetzt hatte, häufte ihm Laura Huhn und Klöße auf den Teller. Ein leichter Dampf stieg von dem Toast auf, der in ein Leinentuch eingeschlagen war.
„Eines muß man dir lassen, Laura. Du weißt, wie man einen Mann verwöhnt."
Matthew biß herzhaft in einen knusprigen Toast und sah mit andächtigem Ausdruck himmelwärts. „Ich kann mich nicht erinnern, ob ich jemals so gut gegessen habe."
Laura zupfte an ihrer Schürze herum, fühlte sich zugleich erfreut und verlegen.
„Vater hat allergrößten Wert auf das Essen am Sonntagabend gelegt. Aber seitdem ich allein bin, vergesse ich manchmal fast, welchen Tag wir haben. Seit der Prediger nach Kansas gegangen ist, scheint es, als ob der Sonntag nur gerade irgendein Tag wäre."
Er hörte deutlich die Einsamkeit, die aus diesen Worten klang. „Und wann wird er wiederkommen?"
„In diesen Tagen, glaube ich." Laura bückte sich nach dem Feuerhaken und schürte die Glut, weil im Kamin ein Scheit zu rauchen anfing, bevor sie auf ihren Stuhl zurückkehrte. „Reverend Talbot hat uns versprochen, daß der Prediger spätestens zu Weihnachten in Bitter Creek sein wird."
„Da hat er sich nicht gerade die richtige Zeit ausgesucht, übers Gebirge zu reisen."
Laura nickte nachdenklich. „Das hast du auch nicht."
„Mir blieb keine andere Wahl." Er beendete die Mahlzeit und trank in kleinen Schlucken starken schwarzen Kaffee.
„Keine Wahl." Laura lächelte. „Vater meinte, daß wir unser ganzes Leben lang immer wieder die richtige Wahl zu treffen hätten."
Längere Zeit schwiegen sie beide und sannen darüber nach, wie das bei ihnen gewesen war und welche Folgen es gezeitigt hatte. Endlich war es Laura, die zu sprechen begann, um die drückende Stille zu durchbrechen. „Wie lange reitest du schon als Richter über Land, Matthew?"
„Seit fünf Jahren."
„Und es war deine eigene frei Wahl, diese Aufgabe zu übernehmen?"
Er leerte die Tasse und tastete nach dem Tabaksbeutel in der Tasche. Nach kurzer Überlegung besann er sich eines Besseren und ließ die Hand wieder sinken. „Man könnte auch sagen, daß mir die Arbeit aufgedrängt worden sei. Der Sheriff einer kleinen Stadt war von einem Revolverhelden erschossen worden, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, in der Gegend herumzustrolchen und die Bewohner zu drangsalieren. Man fragte mich, ob ich das Problem nicht für sie . . . aus der Welt schaffen könnte."
„Du hast ihn getötet?"
Der vorwurfsvolle Unterton entging Matthew nicht, und er unterdrückte seinen aufsteigenden Ärger. Wie hätte er einer so behüteten Frau wie Laura erklären sollen, wie zu Tode erschrocken und verzweifelt jene Menschen gewesen waren?
„Ich stellte ihn vor die Wahl, entweder die Stadt zu verlassen oder zu sterben."
„Und er?"
„Er traf eben die falsche Wahl." Matthew stand auf und holte noch einmal ihres Vaters Schaffelljacke vom Haken. Schon unterwegs zur Tür, meinte Matthew: „Ich glaube, ich werde noch eine Runde in der frischen Nachduft drehen."
Als die Tür hinter ihm zufiel, saß Laura regungslos auf ihrem Stuhl und ihr Blick blieb an dem leeren Platz ihr gegenüber haften. Der bloße Gedanke, daß Matthew ruhig einen gefährlichen Desperado zur Strecke gebracht hatte, kehrte ihr den Magen um.
Nach einer Weile erhob sich Laura und wischte sich mit dem Schürzenzipfel über das Gesicht. Sie mußte wirklich den Verstand verloren haben, sich wegen Matthew Braden Hoffnungen zu machen. Abzeichen hin oder her, er war nicht weniger bedrohlich als die Verbrecher, die er hetzte, und ebenso unberechenbar.
Als die Küche tadellos in Ordnung gebracht war, spähte Laura durch das Fenster in die Finsternis hinaus. Wo mochte Matthew jetzt sein? Was konnte ihn während einer solchen Nacht draußen festhalten? Gleichsam als Antwort auf die unausgesprochene Frage ließ sich nun ein Geräusch auf dem Vorplatz vernehmen. Laura öffnete die Tür und sah Matthew auf dem Verandageländer sitzen. Er hielt den Blick auf die Sturmwolken gerichtet, die sich an dem dunklen Himmel ballten. In der Hand hielt er ein dünnes Stückchen Papier. Aus dem Tabaksbeutel schüttelte Matthew etwas darauf, rollte es zusammen, leckte über den Rand und preßte es zusammen. Ein Schwefelhölzchen flammte auf, bevor er es an die Spitze der Zigarette hielt. Er tat einen tiefen Zug, dann blies er den Rauch durch die Nase. Der beizende Geruch des Tabaks hing in der kalten Luft.
„Es wird noch mehr Schnee geben", sagte Matthew,
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