Historical Weihnachtsband 1993
fast unmerkliches Lächeln der Genugtuung huschte über sein Gesicht, als er Blythe an Rafe geschmiegt sah.
„Das muß aber verdammt unbequem sein", sagte er, als er die roten Striemen an Rafes Handgelenken bemerkte. „Ich werde deine Fesseln durchschneiden, wenn du mir dein Wort gibst zu beschwören, daß du nichts Verdächtiges gefunden hast."
Rafe schüttelte müde den Kopf. „Das kann ich nicht, Seth. Außerdem würdet ihr beide nicht weit kommen. Unsere Leute streifen in der Umgebung umher auf der Suche nach ihm und mir."
Obwohl er sichtlich erschöpft war, grinste Seth verständnisinnig. „Ich habe auch bald Unterstützung zu erwarten, wenn ich nicht schnellstens nach Richmond zurückkehre." Er stand Auge in Auge mit dem Bruder da, und Blythe wandte den Kopf, um von dem einen Manne zu dem anderen zu schauen.
„Gott im Himmel", flüsterte sie. „Was soll aus den Kindern werden." Jetzt erst begriffen sie alle drei, daß dann die Farm mitten zwischen die beiden feindlichen Truppenteile geraten müßte. Während sie krampfhaft in Gedanken nach einem Ausweg suchten, hörten sie ein Kratzen an der Tür und Jaimes aufgeregtes Rufen.
„Miss Blythe, Marias Kind kommt, und sie hat furchtbare Schmerzen!" schrie er.
4. KAPITEL
Seth warf einen raschen Blick auf seinen General. Der schlummerte friedlich unter der Wirkung des Opiums. Seth schätzte, daß sein Patient noch mehrere Stunden nicht erwachen würde, griff in die Arzttasche, die er eben erst auf den Erdboden gestellt hatte, zog ein Skalpell heraus und durchschnitt hastig den Strick an Rafes Fußknöcheln.
„Du begleitest uns, Rafe. Ich brauche Blythes Hilfe und kann dich nicht mit dem General allein lassen."
Rafe zuckte die Achseln und lehnte sich gleichmütig an die Wand des Kellers.
„Nach dir", sagte Seth, und Rafe stieg die Stufen hinauf. Oben stand Jaime. Mit einem argwöhnischen Seitenblick streifte der Junge die gefesselten Hände des Unionsmajors und schaute dann verblüfft auf Seth.
„Sie sind es, Captain Seth?" Er hatte nicht ahnen können, daß sich der Mann, der sie so oft mit Lebensmitteln und anderen notwendigen Dingen versorgt hatte, auf der Farm befand. Jaime hatte verzweifelt nach Blythe gesucht und sich schließlich in Panik an den Keller erinnert, wo sie noch sein konnte. Natürlich war Jaime der Meinung gewesen, die Yankees hätten allesamt die Farm verlassen, hatte den Hufschlag der Pferde gehört und den Reitern aus dem Fenster nachgesehen. Danach war er im Hause geblieben, um die Kleineren zu beruhigen, und schließlich, als er von Blythe nichts mehr vernahm, selbst eingenickt, bis ihn auf einmal Marias Schreie weckten.
Jetzt fragte sich Jaime, was vorgefallen sein mochte. Der Yankee-Offizier war gefesselt, und Captain Seth, der eigentlich Arzt und kein richtiger Soldat war, schien den Fremden zu bewachen. Jaime versuchte in den dämmerigen Keller hinunterzuspähen, ob es dort
vielleicht noch mehr Heimliches gäbe, doch Seth zog sofort die Tür hinter sich zu, so daß Jaime nichts erkennen konnte.
In diesem Augenblick hörten sie alle einen gellenden Schrei, und es blieb keine Zeit mehr, sich weiter über etwas zu wundern. Seth hastete vorwärts und dachte nur mehr an das Mädchen, das da drinnen lag. Durch das Fenster nur etwas abgeschwächt, klang ihr Schrei geradezu erschreckend. Laufend erreichten sie das Haus, Seth voraus, dicht hinter ihm Blythe, Rafe an ihrer Seite und als letzter der Junge. Wie der Blitz war Seth durch die Tür und stürzte die Treppe hinauf, indem er immer zwei Stufen auf einmal nahm, während von neuem ein Schmerzensschrei erscholl.
Rafe, den alle außer Jaime in diesem Moment vergessen zu haben schienen, blieb am Treppenansatz stehen und schenkte dem Jungen ein müdes Lächeln. „Ich glaube kaum, daß man uns jetzt brauchen kann."
Argwöhnisch starrte Jaime auf die gefesselten Hände des Yankeeoffiziers und wußte offensichtlich nicht recht, was er tun sollte.
„Wahrscheinlich benötigen sie da oben heißes Wasser." Rafe überlegte, wie er sich irgendwie nützlich machen könnte, doch Jaime musterte ihn feindselig. Seine Erfahrung mit Uniformierten, Captain Seth ausgenommen, war nur unangenehm gewesen. „Ich lasse Sie aber nicht allein."
Rafe unterdrückte ein Lächeln, das nun doch ziemlich unpassend und wohl auch unklug gewesen wäre. Er fragte sich, wie sein männlicher Stolz denn diese Nacht überstehen sollte: ein Arzt hatte Rafe Hampton gefangengenommen, eine Frau bewachte ihn,
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