Historical Weihnachtsband 1993
ungeschickt gewunden, und das machte ihn ihr nur teurer. Brians Fähigkeiten lagen mehr auf geistigem Gebiet als im Handwerklichen. „Bin ich wirklich so unerträglich gewesen?"
„Ziemlich." Er ließ sich ihr zu Füßen in den Schnee fallen. „Aber ich weiß, daß du nicht länger schlechte Laune haben kannst, schließlich sind wir ganz kurz vor dem Fest." Alanna lächelte. „Du hast recht."
"Aber meinst du, daß Ian zum Weihnachtsessen bei uns bleiben wird?"
Sofort verschwand das Lächeln von ihrem Gesicht. „Das kann ich dir nicht sagen.
Seine Genesung macht ziemlich gute Fortschritte."
„Vater meint, er sei überaus geschickt, obwohl er kein Farmer ist." Wie geistesabwesend begann Brian, einen Schneeball zu formen. „Und er weiß so vieles.
Man stelle sich bloß vor, daß er in Harvard gewesen ist und all diese Bücher gelesen hat!"
"Ja." Ihre Antwort klang nachdenklich, selbst für Brian. „Wenn wir in den nächsten paar Jahren eine gute Ernte haben, Brian, dann sollst du auch auf eine gute Schule gehen, das verspreche ich dir."
Er blieb stumm. Eine Schule! Danach verlangte er, als wäre es die Luft zum Atmen, und er hatte sich schon damit abgefunden, daß er ohne rechte Ausbildung leben mußte. „Seit Ian hier ist, habe ich so manches gelernt. Er kennt die verschiedensten Dinge."
Alanna sagte mit hörbarem Spott: „Davon bin ich überzeugt."
„Er hat mir ein Buch geliehen, das er in der Satteltasche hatte, es heißt 'Henry V.' und ist von Shakespeare. Darin geht es um den jungen König Heinrich und großartige Schlachten."
Schon wieder Schlachten, dachte Alanna. Ihr schien es, als ob Männer nichts anderes mehr im Sinn hatten, sobald sie der Mutterbrust entwöhnt waren.
Ohne sich um das Schweigen seiner Schwester zu kümmern, plauderte Brian weiter.
„Es ist sogar noch besser, wenn Ian erzählt", fuhr der Knabe begeistert fort. „Er hat mir davon berichtet, wie seine Familie in Schottland gekämpft hat. Seine Tante heiratete einen Engländer, einen Anhänger der Stuarts, und flüchtete mit ihm nach Amerika, als der Aufstand der Jakobiten niedergeschlagen worden war. Jetzt haben sie eine Farm in Virginia und pflanzen Tabak. Dann hat Ian noch eine Tante und einen Onkel, die auch hierher ausgewandert sind. Aber seine Eltern leben immer noch in Schottland, in den Highlands. Das muß eine wunderbare Gegend sein, Alanna, mit schroffen Klippen und tiefen Seen. Und denk dir, Ian wurde in einem Haus mitten im Wald genau an dem Tag geboren, da sein Vater bei Culloden gegen die Engländer kämpfte."
Alanna stellte sich vor, wie eine Frau die Wehen einer Niederkunft durchlitt, und kam zu der Überzeugung, daß sowohl Männer als auch Frauen ihre eigenen Kämpfe auszufechten hatten, Frauen für das Leben, Männer dagegen um den Tod.
„Und nach der Schlacht", fuhr Brian weiter fort, „haben die siegreichen Engländer alle Überlebenden niedergemetzelt." Er schaute hinaus auf den Fluß und bemerkte nicht den Blick, den die Schwester ihm zuwarf. „Die Verwundeten, die Männer, die sich ergeben hatten, sogar Leute, die in den Dörfern wohnten. Die Rotröcke hetzten die Aufständischen, stellten sie und hieben sie einfach nieder, wo sie ihnen gerade in den Weg kamen. Manche schlossen sie in einer Scheune ein und verbrannten alle bei lebendigem Leibe."
„Gerechter Gott!" Alanna hatte bisher niemals Kriegserzählungen zugehört, diese jedoch erregte ihre Aufmerksamkeit und ihr Entsetzen.
Jans Familie verbarg sich in einer Höhle, solange die Engländer die Rebellen verfolgten. Eine andere Tante stach eigenhändig einen Soldaten nieder, der ihren verwundeten Mann umbringen wollte."
Alanna schluckte krampfhaft. „Ich nehme an, Mr. MacGregor übertreibt ein wenig."
Brain schaute sie auf den tiefen, lebhaften Augen fest an. „Gewiß nicht", sagte er bestimmt. „Glaubst du, daß es hier bei uns auch so etwas geben könnte, wenn der Krieg ausbricht?"
Sie umklammerte den Kranz so sehr, daß ein Stachel der Stechpalme den Handschuh durchdrang. „Es wird keinen Krieg geben. Mit der Zeit wird der König einlenken.
Auch wenn Ian MacGregor anderer Meinung ist..."
„Aber nicht nur er! Sogar Johnny denkt so, die Männer im Dorf stehen auf demselben Standpunkt. Übrigens sagt Ian, die Vernichtung des Tees in Boston sei erst der Anfang eines Aufstandes, der unausweichlich geworden war, als George III.
im Jahre 1760 den Thron bestiegen hatte. Ian findet es auch an der Zeit, daß wir endlich Englands
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