Historical Weihnachtsband 1993
Fesseln abschütteln und uns darauf besinnen, was wir sind: freie Männer."
„Ian sagt, Ian meint, Ian findet..." Alanna stand auf und schüttelte den Schnee vom Rocksaum. „Für mich redet Ian MacGregor entschieden zu viel. Nimm den Kranz für mich mit nach Hause, Brian. Ich werde ihn aufhängen, sobald ich fertig bin."
Brian schaute seiner Schwester nach, die eilig ins Haus strebte. Es hatte den Anschein, als gebe es doch noch einmal einen Ausbruch, bevor ihre schlechte Laune endgültig vorüber war.
Ian fand Spaß daran, sich im Stall nützlich zu machen, überhaupt wieder etwas tun zu können. Obwohl Arm und Schulter noch ziemlich steif waren, spürte er keine Schmerzen mehr. Und allen Heiligen sei es gedankt - Alanna hatte ihm heute noch keinen ihrer gräßlichen Kräutertränke aufgezwungen. Alanna! Er wollte nicht an sie denken. Um sich abzulenken, legte er das Zaumzeug beiseite, das er gerade reinigte, und griff nach einer Bürste. Es war an der Zeit, sein Pferd für die Reise aufzuzäumen, die er schon seit Tagen immer wieder hinausgeschoben hatte. Eigentlich sollte er längst aufgebrochen sein, denn er war gesund genug, um nicht allzu lange Strecken bewältigen zu können. Natürlich wäre es unklug, sich in Boston zu zeigen, wenigstens für einige Zeit. Deshalb wollte Ian erst einmal, mit Erholungspausen natürlich, nach Virginia reiten und ein paar Wochen dort mit seinen Verwandten verbringen, mit Tante, Onkel und den Cousins.
Der Brief, den Ian dem jungen Brian ins Dorf mitgegeben hatte, war jetzt wohl schon unterwegs zum Schiff nach Schottland zu den Eltern. Sie sollten wissen, daß er am Leben war und das Weihnachtsfest auch dieses Jahr noch nicht mit ihnen verbringen konnte. Das würde die Mutter Tränen kosten, denn wenn auch noch andere Kinder und Enkel im Hause waren, so erfüllte es sie mit Traurigkeit, daß ihr Erstgeborener fehlte, wenn die Familie sich zur Christfeier versammelte.
Im Geiste sah Ian das prasselnde Kaminfeuer, die brennenden Kerzen, roch den Duft, der aus der Küche drang, hörte Lachen und Gesang. Und Schmerz überkam Ian so plötzlich, daß ihm der Atem stockte, auch ihm fehlten die Lieben daheim sehr.
Aber sein Platz war hier, diesseits des Ozeans in einer anderen Welt. Ja, es blieb noch viel zu tun. Er dachte daran und strich über die Flanke der Stute. Sobald Ian in Sicherheit war, mußte er mit edichen Männern in Verbindung treten, mit Samuel Adams, John Avery und Paul Revere. Vor allem aber wollte er wissen, wie die Stimmung in Boston und anderen Städten war, jetzt, nach der Tat, die sie ,Tea-Party'
nannten.
Trotzdem zögerte er immer noch, statt bereits auf und davon zu sein, gab sich Tagträumen hin, obwohl er ernsthaft Pläne schmieden sollte. Er hatte klugerweise, so meinte er wenigstens, Alanna gemieden. Doch in Gedanken war er stets in ihrer nächsten Nähe gewesen.
„Hier findet man Sie also!" Und da stand sie, ihr Atem war in der kalten Luft sichtbar und ging schnell. Alanna hatte die Hände in die Seiten gestemmt, die Kapuze war ihr vom Kopf geglitten, und das Haar fiel pechschwarz auf den schlichten grauen Stoff des Kleides.
"Ja." Seine Handknöchel waren weiß, so krampfhaft umklammerte er die Bürste. Er versuchte, sich zu entspannen. „Da bin ich."
„Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht, einem jungen Burschen solche Flausen in den Kopf zu setzen? Soll der Junge vielleicht eine Muskete schultern und den erstbesten englischen Rotrock angreifen, der ihm über den Weg läuft?"
„Ich nehme an, Sie sprechen von Brian", sagte er, als sie eine Pause machte, um Luft zu holen.
„Ich wollte, Sie wären hier nie aufgetaucht!" Erregt begann Alanna hin und her zu gehen. Dabei loderte in ihren blauen Augen ein solches Feuer, daß Ian fürchtete, das Stroh unter Alannas Füßen
könnte in Flammen aufgehen. „Nichts als Schwierigkeiten haben Sie mitgebracht, vom ersten Moment an, da ich beinahe über Sie solperte, weil Sie halbtot im Heu lagen. Hätte ich damals schon ahnen können, was mir inzwischen dämmert, wäre es vielleicht besser gewesen, meine Christenpflicht zu vergessen und Sie verbluten zu lassen!"
Er konnte ein Lächeln über ihre Heftigkeit nicht unterdrücken und wollte etwas einwenden, doch sie fuhr unbeirrt fort. „Erst hatten Sie nichts Besseres zu tun, als mich zu sich ins Heu zu ziehen und zu küssen, obwohl Sie eine Musketenkugel im Leibe hatten. Danach, kaum daß Sie die Augen wieder aufschlagen konnten, küßten Sie
Weitere Kostenlose Bücher