Historical Weihnachtsband 1993
frei machen. Doch Bruder John hatte nicht zu viel behauptet, als er meinte, Ian MacGregor sei wie eine Eiche. So sehr sie sich abmühte, was ihm offensichtlich behagte, er hielt sie fest. „Zur Hölle mit Ihnen, MacGregor, und mit Ihresgleichen!"
Eigentlich hatte er sie bloß dafür büßen lassen wollen, daß sie ihn gezwungen hatte, das üble Gebräu zu schlucken, das sie ihm gemischt hatte, und Alanna nur auf die Knie gezogen, um sie in Verlegenheit zu bringen. Als sie sich dann wehrte, fand er es ganz recht und billig, sie ein wenig zu necken, und wollte sich damit zufriedengeben, ihr nur einen einzigen Kuß zu stehlen. Sie glühte vor Zorn und Ian lachte darüber, bevor er ihr einen Kuß gab. Es sollte bloß ein Spaß sein, für sie wie für ihn selber.
Mochte sie danach alle Verwünschungen auf ihn niederprasseln lassen, die sie nur kannte!
Doch das Lachen verging ihm auf einmal. Und auch ihr Widerstand erlahmte.
Umsonst versuchte er sich zu ermahnen, daß es nur ein schneller Freundschaftskuß sein sollte, aber die Gedanken
verwirrten sich in seinem Kopf. Ihm schwindelte, und erfühlte sich so schwach wie vorhin, als er das Lager verlassen hatte. Und all das hatte nichts mit der Wunde zu tun, die immerhin schon einige Tage alt und halb verheilt war. Trotzdem empfand er einen sonderbaren Schmerz, der ihm durch den ganzen Körper fuhr, ohne wirklich wehzutun. Wie betäubt fragte sich Ian, ob er vielleicht nicht nur dazu überlebt hätte, um weiterkämpfen zu können, sondern vielmehr, um diesen einzigen vollkommenen Kuß seines Lebens zu empfangen.
Alanna wehrte sich nicht länger. Im tiefsten Herzen wußte sie natürlich, daß es angebracht gewesen wäre, aber es war ihr andererseits völlig klar, daß sie es nicht konnte. Ihre Glieder, erst wie erstarrt nach dem ersten Erschrecken, wurden weich, nachgiebig und willfährig. Wie sanft und rauh zugleich er doch ist, dachte sie. Seine Lippen lagen kühl und fest auf den ihren, nur die Bartstoppeln kratzten ein wenig.
Alanna hörte den eigenen leisen Seufzer, bevor sie den Mund öffnete und Ians Zunge an ihrer fühlte. Unwillkürlich legte sie ihm eine Hand zärtlich an die Wange, und er strich ihr durchs Haar.
Einen Augenblick lang wurde sein Kuß fordernder und riß sie aus sich selbst heraus in eine Welt, die sie sich bisher nur erträumt hatte. Wie breit seine Brust war! Sein Atem ging schwer, und plötzlich stieß Ian eine unterdrückte Verwünschung auf, bevor er sich fast gewaltsam von Alanna löste.
Er konnte sie nur unverwandt anschauen. Er litt darunter, daß er zu schwach war, mehr zu tun. Ian hatte ihr das Häubchen abgestreift, und das schwarze Haar fiel ihr über die Schultern. Ihre Augen waren so groß, so blau in dem hellen, nur leicht erröteten Gesicht, daß er fürchtete, sich darin zu verlieren. Diese Frau war imstande, ihn alles vergessen zu lassen, seine Pflicht, seine Ehre, sogar die gerechte Sache. Für ein einziges liebes Wort hätte er vor ihr niederknien können. Nein! Er war ein MacGregor, und er würde niemals und nichts vergessen, vor allem aber nicht vor einer Frau knien.
„Es tut mir leid." Das klang gezwungen förmlich und so kühl, daß mit einem Schlag alle Glut aus Alannas Körper zu weichen schien. „Ich habe mich unverzeihlich benommen."
Mühsam stand Alanna aus, bückte sich mit Tränen in den Augen nach dem Häubchen, das auf dem Fußboden lag, hob es auf und richtete sich dann kerzengerade in die Höhe. „Ich muß Sie noch einmal ersuchen, wieder ins Bett zu gehen, MacGregor", sagte sie und sah an ihm vorüber. Sie regte sich nicht, bis er hinausgewankt war. Dann wischte sie sich unwillig die Tränen ab, die überhaupt nicht angebracht waren, und kehrte an die häusliche Arbeit zurück, fest entschlossen, alles schnell zu vergessen, vor allem aber, nicht länger an Ian MacGregor zu denken. Der inzwischen aufgegangene Brotteig gab ihr eine willkommene Gelegenheit, ihre widerstreitenden Gefühle abzulenken.
4. KAPITEL
Weihnachten hatte Alanna immer große Freunde bereitet. Die Vorarbeiten machten ihr Vergnügen, sie kochte, backte, nähte und putzte. Selbst kleine wie schwere
,Sünden' der Männer, die dafür kaum ein Auge hatten, war sie bereit zu vergeben.
Immerhin war Weihnachten ja das Fest der Liebe. Außerdem konnte es Alanna kaum erwarten, ihr schönstes Kleid anzuziehen und zur Christmesse ins Dorf zu reiten.
Diesmal war es anders. Je näher das Fest rückte, desto mehr fühlte sie sich
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