Historical Weihnachtsband 1993
gekommen, Rafe?
Wenn es ist, um uns das Wenige zu nehmen, das uns geblieben war, so bist du zu spät dran. Eure Soldaten haben längst alles davongeschleppt."
„Wie die Euren Hampton Farms niedergebrannt haben", gab er zurück. „Dabei hatte ich geglaubt, Seth habe ein wenig Einfluß."
„Man hat auf beiden Seiten Gründe gefunden, alles zu zerstören", erwiderte Blythe heftig und meinte, das Herz müsse ihr brechen. „Die Konföderierten tun es aus Not, die Yankees, um den Süden in die Knie zu zwingen. Die einen rauben, die anderen brandschatzen."
Rafe Hampton zögerte, die Frage auszusprechen, die ihm auf der Seele brannte, die sein Denken beherrscht hatte in all diesen Monaten. Und doch mußte er sie stellen, diese Frage. „Wie geht es Seth?"
„Er lebt, wenigstens war das so, als ich zuletzt von ihm hörte", versetzte Blythe, und ihre Stimme schwankte ein wenig.
Rafe wollte mehr erfahren, wollte wissen, ob Blythe und sein Bruder geheiratet hätten, ob Seth etwa hier auf der Farm wohnte. Und doch hielt etwas ihn zurück.
Bemüht, ruhig und beherrscht mit ihr zu reden, fuhr er fort: „Und Mutter?"
„Sie ist in South Carolina bei deiner Schwester."
Er lehnte sich gegen die Tür, fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen, in denen die gleiche Erschöpfung zu lesen war wie vorhin in denen Seths. "Auf Hampton Farms habe ich keinen Menschen angetroffen, überhaupt nichts Lebendiges", sagte er.
„Es wäre zu gefährlich für deinen Bruder, sich dort sehen zu lassen. Die Yankees überfielen die Farm, weil Seth Mosby zugeteilt worden war, und die Konföderierten, weil du zum Norden stehst. Nachdem man drei eurer Arbeiter getötet hatte, schickte Seth eure Mutter und alle, die mitgehen wollten, nach Süden."
Ein qualvoller Ton entrang sich seiner Kehle wie von einem Tier, das leidet. „Und Francis?" Die angstvoll hervorgestoßene Frage galt seinem ältesten Bruder, der Hampton Farms geerbt hatte.
„Vor etwa einem Jahr ist er von desertierten Marodeuren umgebracht worden."
Rafe ballte die Fäuste, sein Gesicht zeigte tiefen Schmerz. Blythe wünschte sich so sehr, ihn einfach in die Arme zu nehmen und alles auszulöschen, seine Pein, ihren eigenen Gram, die Einsamkeit und die Schreckensjahre, in denen sie alle zwischen den Fronten gestanden hatten, er und Seth und sie selbst. Aber etwas an ihm hinderte sie, ihrem Wunsch gleich nachzugeben. So drehte sie unschlüssig den Ring hin und her, den sie seit vier Jahren nicht mehr vom Finger gezogen hatte. Dabei bemerkte sie, wie Rafe den Blick auf ihre Hand richtete.
„Du trägst ihn immer noch?" Die hörbare Unsicherheit, die in seiner Stimme mitschwang, stand in schroffem Gegensatz zu dem kühlen Anschein von Hochmut, den sich Rafe seit seinem Erscheinen gegeben hatte.
„Ich sagte dir doch, daß ich auf dich warten würde."
„Und ich, daß ich dich nicht an mich binden wollte."
„Es stand dir nicht zu, diese Entscheidung für mich zu treffen."
„Und ... Seth?"
„Was soll die Frage in diesem Zusammenhang?"
„Es war mir zu Ohren gekommen ..."
Blythe öffnete die Augen weit. „Was?"
„Daß du, daß du ihn heiraten . . . ich dachte ..."
Der überraschte Ausdruck ihres Gesichtes verriet Rafe, daß man ihn belogen hatte.
Ein gefangener Südstaatler, ein alter Nachbar, war es gewesen, der Rafe Hampton mit der Nachricht quälte, Blythe Somers sei im Begriffe, einen echten Mann aus dem Süden zu ehelichen, eben seinen Bruder Seth. Achtzehn Monate hatte Rafe geglaubt, dies sei die Wahrheit, Bitterkeit und nagender Kummer hatten ihm schwer zugesetzt. Jetzt schien seine Miene eine Regung zu zeigen, er trat plötzlich einen Schritt näher an Blythe heran, getrieben von einer Hoffnung, die er längst für erloschen hielt. „So ist also . . . nichts geschehen?"
„Gott im Himmel, Rafe! Ich habe immer nur dich geliebt, dich allein." Nun fing sie an, sein so sonderbares Verhalten zu verstehen, und kam ihrerseits auf ihn zu.
„Aber Seth . . .?" Rafe preßte die Lippen zusammen, konnte immer noch nicht begreifen.
„Seth hat sich als der beste Freund erwiesen, den man haben kann. Ich habe ihn sehr, sehr gern, aber ich liebe ihn doch nicht, wie ich dich liebe. Rafe, wie konntest du bloß . . .?" Blythe verstummte. Das also war der Grund gewesen, warum auf einmal kein Brief mehr gekommen und sie nichts mehr von Rafe gehört... Er wollte ihr nicht einmal die entscheidende Frage stellen, sondern verurteilte und vergaß sie, Blythe, die während
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