Historical Weihnachtsband 1993
früher bemerkte, und bückte sich, um den Eimer aufzuheben. Gleichzeitig tat dies auch Ian, und sie prallten beide mit den Köpfen zusammen. Alanna stieß eine unterdrückte Verwünschung aus.
„Was aber zum Teufel wollten sie denn, MacGregor, wenn nicht mir einen Schrecken einjagen?"
Er rieb sich den Kopf und erinnerte sich daran, daß er keineswegs die Geduld verlieren wollte, selbst wenn es ihn beinahe umbrachte. „Ich hatte die Absicht, Ihnen beim Melken zu helfen."
Entgeistert riß Alanna die Augen weit auf. „Und warum das?"
Ian atmete schwer. Mit der Geduld hatte er gewisse Schwierigkeiten, wenn Alannas Worte nichts als Fragen oder Vorwürfe ausdrückten. „Es ist mir in den letzten Tagen aufgefallen, daß Sie zu viele Aufgaben für eine Frau allein zu bewältigen haben."
Beinahe hochmütig sagte sie: „Ich kann gut damit fertig werden und für meine Familie sorgen."
„Daran zweifle ich nicht." Nun klang auch seine Stimme kühl. Wieder wollten sie sich gleichzeitig nach dem Eimer bücken. Ian machte ein finsteres Gesicht, und Alanna richtete sich kerzengerade auf, überließ es ihm, den Eimer aufzuheben. „Ich weiß Ihr Angebot zu schätzen, doch ..."
„Ich werde auch eine Kuh melken, verdammt noch mal, Alanna. Es wird Ihnen kein Stein aus der Krone fallen, wenn Sie sich einmal helfen lassen."
„Natürlich nicht." Sie machte auf dem Absatz kehrt, holte sich den anderen Eimer und stapfte zu der ersten Kuh. Was brauchte sie seine Hilfe? Sie zog die Handschuhe aus und steckte sie in ihre Schürzentasche. Alanna war allein imstande, ihren Pflichten nachzukommen. Was fiel ihm bloß ein zu behaupten, sie hätte zu viel zu tun? Im Frühling, ja, da gab es doppelt soviel Arbeit zu bewältigen, mit dem Pflanzen, dem Küchengarten, den Kräutern. Schließlich war sie eine kräftige und praktische Frau, nicht ein schwächliches Ding, das immer jammerte. Vermutlich war Ian MacGregor an den Umgang mit Damen gewöhnt, dachte Alanna verächtlich, mit Damen, die mit glatten Puppengesichtern geziert lächelten und ihre Fächer schwenkten. Na schön, sie jedenfalls war keine Dame in seidenen Kleidern und mit dünnen Samtschühchen, und schämte sich dessen ganz und gar nicht.
Sie warf Ian einen schrägen Blick zu. Und wenn er meinte, sie schmachte danach, in einem Salon die Lady zu spielen, dann irrte er sich gewaltig. Sie warf den Kopf entschieden in den Nacken und begann so heftig zu melken, daß die Milch nur so in den Holzeimer spritzte.
Undankbares Geschöpf, grollte Ian in Gedanken und bemühte sich mit weit weniger Geschick und Sachkenntnis, die zweite Kuh zu melken. Er hatte Alanna doch bloß helfen wollen. Selbst ein Blinder hätte merken müssen, daß sie vom Morgendämmern bis nach Sonnenuntergang ununterbrochen zu tun hatte: melken, backen, spinnen, scheuern. Zwar hatte es in seiner Familie nicht gerade müßige Damen gegeben, doch sie alle waren von Töchtern, Schwestern oder Cousinen und Gesinde unterstützt worden. Alanna dagegen mußte sich mit drei Männern herumschlagen, die nicht einmal bemerkten, welche Last sie ihr aufluden. Nein, er würde ihr zur Seite stehen, und wenn er sie schütteln mußte, um sie dazu zu bewegen, es ihm zu gestatten!
Natürlich hatte sie ihren Eier viel schneller voll als er den seinen und stand wartend da, mit der Fußspitze ungeduldig auf den Boden klopfend. Als Ian endlich soweit war, wollte sie nach dem Eimer greifen, doch Ian wehrte ab. „Was soll das nun wieder?"
„Ich trage Ihnen die Milch ins Haus." Er bückte sich nach beiden Gefäßen.
„Und wozu soll das gut sein?"
„Weil sie für Sie zu schwer sind." Er hielt sich zurück, um sie nicht wieder zu reizen, und murmelte etwas in sich hinein von eigensinnigen, verständnislosen Frauen, während er zur Tür ging.
„Halten Sie die Milch ruhig, MacGregor, sonst haben Sie gleich mehr davon auf dem Erdboden als nachher im Magen!" Zwar hatte Alanna nicht verstanden, was er murrte, aber es war ganz gewiß nichts Schmeichelhaftes gewesen. Argwöhnisch sah sie ihm nach. „Wenn Sie schon unbedingt die Eimer hineinbringen wollen, kann ich ja inzwischen die Eimer holen." Sie stapften beide in entgegengesetzte Richtungen davon.
Als Alanna in ihre Küche zurückkehrte, war Ian noch immer da und schürte das Feuer.
„Wenn Sie auf das Frühstück warten, müssen Sie sich noch eine Weile gedulden."
„Ich möchte Ihnen helfen", sagte er hartnäckig.
„Wobei wollen Sie mir helfen?"
„Wenn Sie das
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