Hitlers Berlin
halten, Informationen zu sammeln und ins Ausland weiterzugeben oder mit Flugblättern gegen Maßnahmen der Regierung zu protestieren. Aber das Gestapa hatte die Lage in Preußen recht fest im Griff. Immer mehr noch aktive Kommunisten wurden verhaftet. Die ExilSPD schmuggelte zwar ihre illegalen De utschlandberichte ins Reich, aber zentral geleitete Widerstandsmaßnahmen gab es nicht.Wie auch? Der erste »Geburtstag des Führers« nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler hatte gezeigt, dass ein sehr großer Teil der Deutschen sich gut arrangieren konnte mit dem neuen System, wenn es nicht sogar begrüßt wurde. Das Flaggenmeer in Berlin und anderen Städten am 20.April 1933 war jedenfalls nicht anders zu deuten, zumal es keineswegs nur öffentliche Gebäude waren, aus denen die Hakenkreuzfahnen flatterten. 11
Der Schlag gegen die »zweite Revolution«
Trotzdem war ein Großteil der halben Million SA-Männer noch längst nicht zufrieden. Sie hatten die Köpfe hingehalten (und den politischen Gegnern die Köpfe eingeschlagen), aber nun sollten sie zurücktreten ins Glied und der alten bürgerlichen Elite die Futtertröge überlassen. Neue Unzufriedenheit wuchs in den brauen Bataillonen. Ernst Röhm, seit 1931 Stabschef der SA mit Sitz in München, bezog im Juni 1933 Position: »Ein gewaltiger Sieg ist errungen. Nicht der Sieg schlechthin!« Die SA sei der »Grundpfeiler des kommenden nationalsozialistischen Staates«, den Röhm also noch keineswegs verwirklicht sah. Er forderte »ein neues, in einer geistigen Revolution aus nationalistischem und sozialistischem Geist wiedergeborenes Deutschland« – und damit genau das Gegenteil dessen, was Hitler und die Mehrheit der deutschen Bevölkerung jetzt wollten: Ruhe und Ordnung. Röhm beließ es nicht bei Rhetorik, sondern gab am 31. Juli 1933 eine Weisung aus, laut der als »Sühne für den Mord an einem SA-Mann durch den zuständigen SA-Führer bis zu zwölf Angehörige der feindlichen Organisation, von der der Mord vorbereitet wurde, gerichtet werden dürfen«. Neun Tage nach Görings Gewaltverbot war das eine unverhohlene Provokation. Daraufhin entließ der preußische Innenminister, inzwischen in Personalunion auch Ministerpräsident, am 2. August die Hilfspolizei
Parteifeind: Ernst Röhm bei einem SA-Appell auf dem Tempelhofer Feld, 6. August 1933
offiziell. Die Bewachung in den Lagern blieb trotzdem in den Händen der SA.
Die Spannungen zwischen NSDAP und der proletarischen Massenbewegung SA, der schon immer das Adjektiv »sozialistisch« der wichtigere Teil der Selbstbezeichnung »nationalsozialistisch« gewesen war, nahmen in den kommenden Monaten zu. Wieder einmal versuchte Hitler, einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen; diesmal jedoch waren die Voraussetzungen wesentlich besser, denn nun konnte der ganze Staats apparat eingesetzt werden, um aufmüpfige Ober- und Unterführer der SA zu befriedigen. Röhm wurde Reichsminister – zwar ohne Geschäftsbereich, aber mit Gehalt, Sekretariat und Amtssitz in Berlin zusätzlich zu seiner Münchner Dienststelle; der Berliner SA-Chef Karl Ernst unter anderem Preußischer Staatsrat; Röhms Vertrauter und Stellvertreter Edmund Heines, der 1931 nach dem Stennes-Putsch die Berliner SA auf Linie gebracht hatte, Polizeipräsident von Breslau. Dutzende weitere SA-Führer zogen bei den Wahlen am 5.März erstmals in den Reichstag ein, noch mehr bei den »Neuwahlen« per Einheitsliste am 12. November
1933. Im öffentlichen Dienst wurden tausende Versorgungsposten für »alte Kämpfer« der SA geschaffen, die bestenfalls nichts taten und schlimmstenfalls in ungeahnter Form korrupt waren. Aus kommunalen Betrieben wurden »nationalsozialistische Beschäftigungsgesellschaften«, urteilt der Historiker Frank Bajohr. Gleichzeitig ließ Röhm beinahe jeden Bewerber in die SA aufnehmen, die ihre Größe innerhalb eines Jahres auf mehr als vier Millionen Mitglieder verachtfachte – auch weil die NSDAP im Mai 1933 einen Aufnahmestopp verhängt hatte, der bis 1937 in Kraft blieb.
Hitler gab dem Drängen des SA-Stabschefs nach und genehmigte Anfang 1934, dass die SA künftig weitgehend vom Staat finanziert wurde. Rund acht Millionen Reichsmark aus Steuermitteln flossen nun monatlich in ihre Kassen. Davon wurden möglichst vielen der Parteisoldaten fest besoldete Stellen eingerichtet. Doch bereits seit Mitte 1933 wussten Röhms Konkurrenten, vor allem der ihm offiziell noch unterstellte Reichsführer SS Heinrich Himmler und die
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