Hitzetod
war. »Das bleibt vorläufig unter uns. Okay?«
»Selbstverständlich, Sir.«
»Und nennen Sie mich nicht Sir. Falls die mich nach dieser Geschichte hier überhaupt noch mal bei der Polizei nehmen, werde ich mit viel Glück als uniformierter Constable gehen können.«
»Er sagte, falls Sie sich melden, will er Sie treffen.« Sie hielt inne. »Ich glaube, das sollten Sie nicht tun. Ihm kann man nicht trauen.«
»Oh, ich glaube, man kann ihm schon trauen.« Delaney lächelte, strahlte dabei allerdings soviel Wärme aus wie die Hand eines Toten. Er nahm sein Handy und wählte per Kurzwahl Bonners Nummer.
30
Bill Hoskins ging zu dem Gaskocher, den er sich in sein Friedhofswärterhäuschen gestellt hatte, zündete ihn mit einem Streichholz an und stellte den Wasserkessel darauf. Einige Minuten später hatte er es sich mit einem Becher Tee, ein paar Keksen und einem Buch in seinem Sessel bequem gemacht. Er las gerade Der Monddiamant von Wilkie Collins. Es war ein dickes Buch, dicker als die meisten, die er sonst las, aber er hatte etwas für gute Krimis übrig und las in seinen Teepausen gerne ein oder zwei Seiten.
Bald darauf war der Teebecher leer, und das Buch lag mit flatternden Seiten offen auf Hoskins’ Schoß: In der Sommerhitze war er sanft eingenickt. Er erwachte vom Geräusch der aufgehenden Tür.
»Hallo?«
Er blinzelte ins helle Sonnenlicht, das in den Raum schien, und wusste, dass es nicht, wie erhofft, die attraktive junge Dame war, die ihn zuvor aufgesucht hatte, sondern jemand völlig anderes. Verärgert seufzte er: »Was wollen Sie?«
Mit dem gellenden Schuss kam die Antwort. Der Friedhofswärter machte den Mund auf, um zu protestieren, doch die Worte erstarben auf seinen Lippen. Er sackte in seinem Sessel zusammen, das Buch fiel zu Boden. Bill Hoskins würde nie herausfinden, wer den Monddiamanten gestohlen hatte. Er war auf seiner eigenen letzten Seite angekommen.
Kate saß nervös in ihrem Auto, das auf einer doppelten gelben Linie stand. Sie blickte auf die Uhr, während sie mit den Fingern aufs Lenkrad trommelte. Weiter die Straße hinunter sah sie einen Verkehrspolizisten langsam an der Reihe illegal geparkter Autos entlanggehen. Wo war Delaney? Und was zum Teufel machte sie überhaupt hier? Schließlich war sie Gerichtsmedizinerin und nicht der Tonto von Jack-Delaney-Lone-Ranger! Was ritt sie bloß, auf der Suche nach einem Mörder in London herumzufahren?
Der Verkehrspolizist schaute demonstrativ zu Kate herüber, worauf sie den Motor anließ und sich gerade in dem Moment wieder in den Verkehr einfädelte, als Delaney mit einer kleinen Reisetasche unter dem Arm aus der Kirche kam. Sie hielt an, ohne das verärgerte Hupen hinter sich zu beachten, und beugte sich auf die Beifahrerseite, um ihm die Tür aufzumachen. Unter den Augen des Verkehrspolizisten öffnete Delaney den Kofferraum des Autos und verstaute seine Tasche darin. Dann klappte er ihn wieder zu und kam langsam nach vorne. Für Kates Nervenkostüm war der Blick des Verkehrspolizisten etwas zu lang auf sie gerichtet.
»Jetzt steig schon ein, Jack. Der Polizist guckt dauernd her.«
Jack stieg ins Auto und zog die Tür zu. »Das ist doch nur ein Verkehrspolizist.«
»Schon, aber dein Gesicht ist überall zu sehen.«
Kate trat das Gaspedal durch und fuhr in die Oxford Street. »Wohin?«
»Angel.«
»Was gibt’s da?«
»Eddie Bonner. Ich habe gerade mit ihm gesprochen.«
Besorgt sah Kate ihn an. »Hältst du das für besonders klug, nach allem, was ich dir gerade über die Aussage des Friedhofswärters erzählt habe?«
Delaney zuckte die Schulter. »Bald werden wir’s wissen.«
Fährt man von King’s Cross aus in nordöstliche Richtung eine lange, verkehrsreiche, von heruntergekommenen Lagerhäusern und Bürogebäuden mit Aluminiumdächern gesäumte Steigung hinauf, gelangt man nach etwa einem Kilometer zur U-Bahnstation Angel. Biegt man dort links ab, befindet man sich mitten in Islington. Delaney erinnerte sich an die Zeit, als die Gegend noch zweigeteilt war: auf der einen Seite lebten die Armen und auf der anderen die Reichen, so als hätte man quer über die Straße eine Trennlinie gezogen. Inzwischen war das alles anders; Ende der Achtziger-, Anfang der Neunzigerjahre war die Upper Street von Angel aus am King’s Head vorbei und noch weiter zur Welt der Schicken und Eleganten geworden. Designer-Pubs, eingequetscht zwischen Trendlokalen und -bistros. Auf ein Yuppie-Publikum ausgerichtete
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