Hitzetod
mit dem Jackenärmel über die Stirn. Seit seiner Kindheit verunsicherten ihn Kirchen. Obwohl er ein rational denkender Mensch war, spürte er jedes Mal, wenn er sich in einer befand, eine reale Präsenz. Er glaubte allerdings nicht, dass es Gott war. Für Delaney konnte Gott sich mit derselben Wahrscheinlichkeit in einem Hotelzimmer, einem Supermarkt oder einer Kegelbahn aufhalten. Angesichts der unzähligen Gräueltaten, die täglich in seinem Namen begangen wurden, war es vielleicht sogar wahrscheinlicher, dass er sich nicht in eine Kirche, Moschee oder Synagoge begeben würde.
Delaneys Blick wanderte durch die kleine, wunderbar konstruierte Kirche mit ihren hochstrebenden Pfeilern und erlesenen Steinmetzarbeiten, ihren Renaissancegemälden und ihren herzzerreißend realistischen Statuen, und was er verspürte, war nicht das Gewicht der Präsenz Gottes, sondern das seiner stets präsenten Schuld.
Für einen Moment schloss er ganz in Gedanken die Augen, versunken in unerträgliche Erinnerungen. So versunken, dass er die Gestalt nicht bemerkte, die schnell neben ihn in die Bank rutschte und ihm etwas seitlich in die Rippen stieß.
Als er erschrocken die Augen aufschlug, sah er eine Frau neben sich sitzen. Sein Blick senkte sich, als sie ihr Handy zurückzog, mit dem sie ihn gerade angestupst hatte.
»Wollen Sie, dass ich einen Herzinfarkt kriege?«
»Ich dachte, Sie hätten geschlafen.«
Delaney schaute sie an und fing an zu lachen, wobei seine Stimme wie eine grobe Störung durch die kleine Kirche hallte. »Herrgott, Sally. Ich glaube, das hat mich zehn Jahre meines Lebens gekostet.«
Entsetzt blickte Sally sich um. »Nicht, Sir.«
»Nicht was?«
»Gott lästern.«
»Gotteslästerung ist das geringste meiner Probleme.«
»Trotzdem, Sir. Sie wissen schon. In einer Kirche.«
»Sie sind doch nicht etwa auch katholisch?«
»Church of Scotland, Sir.«
Erstaunt sah Delaney sie an. »Ich wusste gar nicht, dass Sie Schottin sind.«
»Väterlicherseits. Ich bin in Nordwestlondon aufgewachsen. Und in die Kirche gegangen. St. John’s. Der Gemeindepfarrer war ein ehemaliger Father, und Sie erinnern mich sehr an ihn.«
»Wie das?«
»Er konnte manchmal auch ein gottloser Bursche sein, Sir. Und trank gerne ein Gläschen Whisky.«
Wieder lachte Delaney, diesmal leise. »Also, ich danke Gott für Sie, Sally, mehr sage ich nicht.«
Sally schaute ihm, plötzlich ernst geworden, in die Augen. »Was werden Sie jetzt tun?«
»Was ich am besten kann.«
»Und das wäre?«
»Chaos verbreiten.«
Sally nahm seine Hand. »Das ist Blödsinn, Sir. Sie sind der beste Mann im CID.«
»Und wer sagt das?«
»Sie selbst.«
Delaney lächelte.
»Und ich auch.«
Delaney sah sie an. »Wie lange sind Sie jetzt schon Detective Constable?«
»Vielleicht eine Woche. Aber das reicht, um die Wahrheit zu erkennen.«
Dankbar tätschelte Delaney ihr die Hand. »Und was haben Sie nun für mich?«
»Vermutlich meine Entlassung.« Sie griff in ihre Jackentasche und zog ein Blatt Papier heraus.
»Meiner Einschätzung nach ist diese Frau, die Sie wegen der DVD angerufen hat, Karen Richardson. Eine Prostituierte, die mit Jackie Malone gearbeitet hat. Die beiden wurden vor ein paar Jahren zusammen in einem Massagesalon draußen in Cricklewood festgenommen.«
»Haben Sie eine Adresse?«
»Daran arbeite ich noch.«
»Ich muss wissen, wo sie ist, Sally. Das ist wirklich wichtig. «
Sally seufzte frustriert. »Ich tue, was ich kann, aber es ist schwierig, wenn man von aller Welt beobachtet wird. Ich bin nur Constable. Wenn sie mich kriegen …«
»Ich weiß. Sie setzen Ihre Karriere für mich aufs Spiel, und ich bin Ihnen dankbar.«
Sally schüttelte den Kopf. »Ich tue nur, wozu ich mich verpflichtet habe. Sie sind nicht der Böse, Chef.«
»Ich bin froh, dass jemand mir glaubt.«
»Sie haben immer noch eine Menge Freunde bei der Polizei. «
Delaney nahm das Papier. »Sonst weiß niemand von ihr?«
Sally schüttelte den Kopf. »Aber Bonner …«
Delaney unterbrach sie scharf. »Sie haben ihm doch nichts davon erzählt?«
»Nein.«
Erleichtert nickte Delaney. »Gut.«
»Aber er möchte helfen.«
»Was hat er zu Ihnen gesagt?«
»Genau das, dass er helfen möchte.«
»Haben Sie ihm erzählt, dass Sie mich treffen würden?«
»Nein, aber ich vermute, er kann sich denken, dass Sie sich bei einem von uns melden würden.«
Delaney packte sie bei den Schultern und schaute ihr in die Augen, damit sie sehen konnte, wie ernst er
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