Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
blutüberströmten Beine.
6
Er hatte den Mercedes zurückgebracht. Der Wagen stand wieder genau dort, wo der schöne Tom ihn zurückgelassen hatte. Jetzt saß er in der S-Bahn und ertappte sich zum wiederholten Mal beim Warten. Darauf, dass etwas passierte. Dass neben ihm jemand aufstand, eine Waffe zog und sagte: »Damian Kender, Sie sind vorläufig festgenommen. Nehmen Sie die Hände über den Kopf und machen Sie keinen Ärger …«
Aber es geschah nichts.
Die beiden Männer, die in seiner Nähe gesessen hatten, waren an der letzten Station ausgestiegen. Jetzt hatte er den Wagen fast für sich allein. Ein älterer Mann, dem äußeren Anschein nach arabischer Herkunft, blätterte schräg gegenüber im Prospekt eines Möbelhauses. Ein paar Plätze weiter starrte ein junges Mädchen in schwarzen Klamotten, das wie ein Junkie aussah, mit trüben Augen aus dem Fenster. Dahinter ein deutlich übergewichtiges Ehepaar – er seit der Ausfahrt aus dem Wiesbadener Hauptbahnhof geräuschvoll schlafend, sie genau wie das Junkie-Mädchen starr in die stickige Nacht blickend. Das war alles.
Sonst nichts, außer dem Rattern des Zuges.
Damian sah auf die Uhr. Er konnte beim besten Willen nicht deuten, was hier gerade mit ihm geschah. Wozu man
ihn ge- oder vielmehr: miss braucht hatte. Und diese Unwissenheit war vielleicht das Schlimmste an der ganzen Sache.
Er blickte sich um. Nur noch eine Station bis zu seiner Haltestelle …
Und noch immer kein Zeichen von Gefahr.
Bedeutete das, dass es vorbei war? Erledigt, abgehandelt, überstanden? Oder warteten sie am Ende nur auf eine bessere Gelegenheit? Rechneten sie mit Widerstand, damit, dass er ausrasten oder Geiseln nehmen würde, wenn sie ihn hier in der Bahn verhafteten? Und was war mit diesem elenden Dreckskerl, dem er den ganzen Mist zu verdanken hatte? Würde der sich nicht vielleicht doch schon morgen mit einem neuen Auftrag an ihn wenden? Mit einer neuen Forderung?
Stichtag ist morgen Abend, Punkt 23 Uhr. Sie benutzen das Fenster an der Schmalseite, erster Stock. Es ist ungesichert und von der Straße aus nicht einzusehen. Die Frau wird zu diesem Zeitpunkt allein sein …
Tja, zumindest was das betraf, hatte er Wort gehalten. Damian nickte. Nicht dass er eine Wahl gehabt hätte. Die mageren dreißig Stunden, die dieser Kerl ihm zugebilligt hatte, hatten definitiv nicht ausgereicht, um selbst Erkundigungen über Irina Portner einzuziehen … Zweifellos ein Teil seines Plans!
Sie wird Ihnen gefallen …
Hatte sie das?
Damian runzelte die Stirn und rief sich den Geruch der Frau ins Gedächtnis, während die Bandstimme seine Haltestelle ansagte. Nein, dachte er, sie hat mir nicht gefallen. Sie ist viel zu unauffällig. Zu blass. Zu wenig da. Jetzt, nachdem er sie mit eigenen Augen gesehen, ihr wehrloses Fleisch unter sich gespürt hatte, konnte er sich noch weniger erklären, was es mit ihr auf sich haben mochte. Wie und womit ausgerechnet diese unspektakuläre Frau jemanden dazu gebracht haben
sollte, einen derart großen Aufwand zu betreiben. Einzig und allein zu dem Zweck, ihr wehzutun.
Und darum war es doch gegangen, oder nicht?
Darum musste es gegangen sein!
Achten Sie darauf, dass Sie alles so machen, wie Sie es immer tun. Und dann verschwinden Sie. Das ist der Deal. Ihre Freiheit gegen diesen einen Abend.
Irina Portner musste irgendetwas getan haben, was es in den Augen des Kerls rechtfertigte, sie auf diese perfide Art und Weise bestrafen zu lassen. Damian dachte an seine Jugend und an eine Fernsehshow, bei der es eine Figur gegeben hatte, die man den Vollstrecker genannt hatte. Irgendein auf hässlich geschminkter hagerer Mann, der die unterlegenen Kandidaten in einen Bottich voller Schleim geworfen oder sonst wie bestraft hatte. Und genau so fühlte er sich im Augenblick. Wie das Werkzeug eines Kerls, der durch ihn irgendein perverses Urteil vollstrecken ließ.
Dieser eine Abend …
Er griff nach der Umhängetasche, die er neben sich auf dem dreckigen Polster abgestellt hatte. Seine Armbanduhr zeigte fünf Minuten vor Mitternacht. Das bedeutete, dass dieser Abend, dieser höchst besondere, in wenigen Minuten vorbei war. Und aus irgendeinem unerfindlichen Grund hatte Damian tatsächlich das Gefühl, dass es damit getan sein würde. Dass er nie wieder von diesem Kerl, der ihn erpresst hatte, hören würde. Falls es diesen Kerl überhaupt gab. Falls das Ganze nicht
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