Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
Kleinigkeiten, die zurückzulassen ihm aus irgendwelchen
Gründen, die er sich selbst nicht erklären konnte, schwergefallen wäre. Seine Tasse, zum Beispiel. Die mit dem Chamäleon, die die Kollegen ihm geschenkt hatten. An der hing er irgendwie. Und Mr. Volvos Jackett hatte so einladend auf einem Hocker gelegen …
Er blieb stehen und zog das Foto, das er erbeutet hatte, aus der Brusttasche seines Hemdes.
Sieh an, sieh an, sieh an!
Wenn das kein bemerkenswertes Zusammentreffen war …
Die Apothekerin und ihre wildgelockte Tochter mit dem wachen Blick!
Apothekerinnen nannte er Frauen, die trotz einer ausgeprägten Beobachtungsgabe und guter Instinkte am liebsten schnelle Einordnungen vornahmen. Schublade auf, Eindruck rein, Schublade zu. Er lächelte, während seine Augen von Silvie Verhoevens markanten Zügen hinunter zum aufgewecktfröhlichen Gesicht ihrer Tochter glitten. Hatte er das nicht gleich gesagt, schon damals, als er ihr zum ersten Mal begegnet war? Dass sie bei aller Eigenständigkeit keine Frau war, die ihre Kinder allein großzog, sondern höchstwahrscheinlich einen Mann hatte, der beruflich sehr angespannt war – so sehr, dass er alles Häusliche liebend gern ihr überließ …
In seiner Lehrzeit als Friseur hatte er eine Kundin gehabt, die mit einem Kriminalbeamten verheiratet war. Noch dazu mit einem, für den sein Job mehr als nur ein Job war. Diese Kundin hatte eine ähnlich fatalistische Selbstständigkeit ausgestrahlt wie die Frau, die Damian jetzt aus dem harmlosen Schnappschuss heraus anlächelte. Auch sie war daran gewöhnt gewesen, ihr Leben um die Dienstzeiten ihres Mannes herum zu organisieren, ohne dabei nennenswert auf seine Mithilfe bauen zu können.
Damian nickte stumm vor sich hin. Nach Hause zu fahren hatte keinen Zweck mehr, so viel immerhin war ihm klar. Aber das machte nichts. Er war noch nie ein Mensch gewesen,
der sich irgendwas vormachte. Er hatte immer gewusst, dass dieser Tag kommen würde. Und alles, was auch nur den geringsten Wert für ihn hatte, steckte in einem Schließfach am Bahnhof. Er vergaß nie, nach Dienstschluss dorthin zu fahren, um Geld nachzuwerfen. Und er hatte das Schließfach in den vergangenen Wochen darüber hinaus mehrmals gewechselt. Niemand würde ihn je zweimal zur gleichen Zeit am gleichen Ort antreffen. Vorhersehbar zu sein war einfach nur dumm.
Er nahm einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete eine Tür zur Rechten. Dahinter lag ein Lagerraum, der seit Jahren nicht benutzt wurde. Mehr noch, er wurde nicht einmal mehr gereinigt. In den Regalen lag der Staub fingerdick. Damian ging in die Knie und zog seinen Notfallkoffer aus dem Versteck. Bargeld. Kreditkarten. Und die Waffe, die sein Vater in der Wohnung seiner Mutter zurückgelassen hatte, als er zu einem Besuch in die Staaten aufgebrochen und nicht mehr zurückgekehrt war. Damian verachtete seinen Vater, und doch hatte Jack Waldo Billington seinem Sohn zwei sehr nützliche Dinge hinterlassen: eine 45er und obendrein einen Namen, von dem kaum jemand wusste. Damian lächelte, als er den Koffer öffnete und seine Pflegerkleidung gegen ein unauffälliges City-Outfit tauschte. Er würde etwa eine Stunde brauchen, um die Sachen vom Bahnhof zu holen und sich ein anderes Auto zu besorgen. Den Nissan hatte er abgeschrieben. Es war sowieso viel sicherer, U-Bahn zu fahren, auch wenn alle Welt das Gegenteil behauptete.
Damian schob die Waffe in den Bund seiner Jeans, steckte Bargeld und Kreditkarten ein und zuletzt den Ausweis, den er – genau wie die 45er – seinem untreuen Vater verdankte. Damian Stephen Billington. Geboren am 27. Mai 1974 in Eltville am Rhein, Deutschland. Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika, in die er noch nie im Leben einen Fuß gesetzt hatte und vermutlich auch nie im Leben setzen würde. Aber das schlechte Gewissen eines Menschen war nun einmal ein
starker Verbündeter. Das traf auf eine Verlegerpersönlichkeit wie Karolin Reding ebenso zu wie auf einen US Lieutenant, der Frau und Kind sitzenließ, um in seiner alten Heimat noch einmal ganz von vorn anzufangen, ohne Sprachbarriere und ohne Altlasten im Gepäck.
Sieh mich an, ich bin bereit, meinen Teil der Verantwortung zu tragen, falls man in diesem Zusammenhang überhaupt von Verantwortung sprechen kann. Aber was ist mit dir, Damian?
Wirst auch du bezahlen, wenn es so weit ist?
Er wischte den Gedanken beiseite und schob den
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