Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
weiterkam.
»Genau«, nickte Nina, die ebenfalls Appetit auf Nougatherzen hatte.
Silvie Verhoeven schüttelte den Kopf. »Das geht nicht.«
»Und wieso?«
»Weil wir das Zeug, wie du es nennst, zuerst bezahlen müssen. «
»Na und?« Dominik stemmte die Fäuste in seine nicht vorhandene Taille. »Wo is’n das Problem?«
»Hast du Geld mit?«, konterte Silvie.
»Nee, aber Sie.«
»Ich kann aber keine leere Packung Nougatherzen bezahlen.«
»Warum nicht?«
Gütiger Gott, dachte Silvie, während ihre Bequemlichkeit
zunehmend energisch zum Kauf riet. »Weil niemand Geld für etwas ausgibt, das nicht mehr da ist«, antwortete derweil ihr erzieherischer Eigenanspruch.
»Aber das Nougat ist doch da. Bloß eben bei uns im Bauch.« Dominiks Augen blieben an ihrem weitgeschnittenen Schwangerschafts-T-Shirt hängen, und Silvie wartete fast darauf, dass er das Baby in seine Argumentation einbezog.
»Wie wär’s mit einem Eis?«, schlug sie vor, bevor die Sache eine Richtung einschlug, der sie noch weniger entgegenzusetzen hatte.
Einem Kampf auszuweichen bedeutet nichts anderes, als ihn zu verlieren , spottete ihre zumindest gedanklich allgegenwärtige Schwester, die neben einer erfolgreichen Karriere als Ärztin auch mit vier Kindern spielend fertigwurde (zumindest behauptete sie das).
»Ich will aber kein Eis«, murrte Nina.
»Es heißt: Ich möchte.«
»Hä?«
»Nina!« Silvie stöhnte, nicht nur, weil das Baby in ihrem Bauch ihr gerade einen kräftigen Tritt verpasst hatte.
»Was denn?«
»Würdest du dich bitte zivil ausdrücken?«
»Was bedeutet das, zivil?«
»Es heißt: wie bitte!«
»Hä?«
Nur noch drei oder vier Tage, versuchte Silvie, sich selbst Mut zuzusprechen. Lediglich drei- oder viermal vierundzwanzig Stunden, in denen wir die Erziehung vernachlässigen und unserem inneren Schweinehund nachgeben. Das kann doch wohl kaum einen Schaden fürs Leben anrichten, oder?
Einmal nachgeben heißt im Ergebnis, dass du im Anschluss daran mindestens ein halbes Jahr absoluter Konsequenz investieren musst, um das wieder auszumerzen , frohlockte ihre imaginäre Schwester. Willst du das?
Nein, dachte Silvie, das will ich nicht.
Es heißt nicht ich will , sondern ich möchte, bemühte Madeleine genüsslich einen jener ebenso platten wie wahren Sätze, der sie beide ihr ganzes Kinderleben lang begleitet hatte.
Halt die Klappe!, dachte Silvie.
»Mama?«
»Ja?«
»Bist du sauer?«
»Nein.«
»Sie sehen aber ziemlich sauer aus«, befand Dominik mit kritischem Blick.
»Danke. Sehr nett von dir.«
»Hä? Wieso nett?«
Silvie atmete tief durch. »Okay, ich mach euch einen Vorschlag …«
Die Antwort bestand aus einem zweistimmigen, erwartungsvollen »Jaaaaa?«.
So lernen sie vor allem, dass es sich lohnt, mit dir zu handeln , kicherte Madeleine.
»Ihr legt jetzt diese Nougatherzen wieder zurück ins Regal, und dafür mache ich euch frische Waffeln, wenn wir zu Hause sind.«
Nina kniff die Augen zusammen. »Mit heißen Kirschen?«
»Wenn du magst.«
»Und mit Nutella?«, fragte Dominik, indem er ein entsprechendes Glas aus Silvies Einkaufswagen fischte und hochhielt.
»Du bist allergisch gegen Haselnüsse«, widersprach Silvie.
Das schien ihn zumindest zum Nachdenken zu bringen. Doch der Anflug von Vernunft währte nicht lange: »Macht nichts«, befand er nach kurzem Überlegen.
»Ich wette, deinen Eltern wird es sehr wohl etwas machen, wenn sie dich in der Notaufnahme besuchen und …«
»Wo?«
Du hast es hier mit Kindern zu tun . Silvie konnte ihre Schwester förmlich hören. Kleinen, knapp sechsjährigen Kindern . Da sind so drastische Beispiele nicht dazu angetan, um die Entwicklung von Verständnis …
»Vergiss es«, murmelte sie schuldbewusst.
»Wieso?«, wollte Nina wissen. »Ich weiß, was eine Notaufnahme ist.«
Silvie zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Wirklich? Woher?«
Doch ihre Tochter ließ die Frage nach dem »Woher« zunächst unbeantwortet. Stattdessen erging sie sich bereits in Erklärungen. »Das ist, wenn du als Forscher im Regenwald plötzlich von einem Tiger angegriffen wirst, obwohl du eigentlich nur die Berggorillas fotografieren willst. Und dann läufst du natürlich weg, aber aus Versehen vergisst du, die Kamera auszumachen. Und dann hast du lauter falsche Büsche und Himmelsstücke und Wackeltiger auf dem Film. Und das nennt man dann Notaufnahmen. Nicht wahr, Mama?«
»So
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