Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
sei. Und auf der anderen Seite ihre Bereitschaft zu helfen. Ja, dachte Winnie, sie hat mir sehr wertvolle Informationen zugespielt, wo immer sie konnte, ohne sich verdächtig zu machen. Sie hat ihre Lebensgefährtin an die Vertretung im Zoo erinnert, die Merle Olsen vermutlich von sich aus erst gar nicht erwähnt hätte. Und als sie heute Morgen mitgekriegt hat, dass wir uns tatsächlich mit dem Zoo beschäftigen, hat sie rasch noch einmal nachgelegt: Ja, ich erinnere mich an den Wagen. Er parkte nur ein paar Schritte vom Eingang zu Merles Praxis entfernt auf der anderen Straßenseite. Es war ein Geländewagen. Eine asiatische Marke, ich glaube, ein Hyundai …
»Aber wie sollte das alles in der Praxis abgelaufen sein?«, riss Werneuchens Stimme sie aus ihren Überlegungen. »Ich meine, Portner mag Kira Schönenberg vor zwanzig Jahren ziemlich ans Bein gepinkelt haben. Gut und schön. Aber seinen Tod zu beschließen, bloß weil sie ihn nach zwanzig Jahren auf dem Flur eines Krankenhauses wiedertrifft …«
»So einfach wird es nicht gewesen sein«, widersprach Winnie. »Das sind im Augenblick natürlich alles nur Vermutungen, aber ich würde darauf tippen, dass sie ihn wiedererkannte und sich daraufhin zunächst mal erkundigt hat, was er in dieser Klinik tut.«
»Woraufhin ihre Kollegen ihr erzählt haben, dass er seine Frau besucht.«
»Nicht nur das.« Winnie nippte an ihrer Cola. »Wenn ich mich nicht irre, ist es in etwa so gewesen: Kira fragt die Kollegen auf der Gynäkologie nach Irina Portner und erfährt denselben Klatsch, den Jo Ternes in ihrem Artikel zitiert hat. Du weißt schon, dass die Portner total eingeschüchtert wirke, sobald er auftaucht, und so weiter und so fort. Das wiederum erinnert Kira fatal an die Entwicklung, die ihre Freundin damals genommen hat, und sie beginnt, sich näher mit Irina Portner zu beschäftigen.«
»Du meinst, sie holt Erkundigungen über Portners aktuelles Leben ein?«
Winnie schüttelte den Kopf. »Ich würde eher annehmen, dass sie ganz gezielt das Gespräch mit Frau Portner gesucht und im Zuge dieser Unterhaltungen nach und nach auch deren Vertrauen gewonnen hat.«
»Okay, da sitzen also zwei Frauen und tauschen sich über die bösen Männer aus«, resümierte Werneuchen mit Skepsis in der Stimme. »Und irgendwann in einem dieser Gespräche sagt die Portner plötzlich: Ach, übrigens, und wenn du mal bei uns einbrechen willst, dann nimm das Toilettenfenster im zweiten Stock?«
»So nun auch nicht«, sagte Winnie mit einem leisen Lächeln. »Aber die beiden haben sich mit Sicherheit auch über Portners Charakter unterhalten. Darüber, dass er stets und um jeden Preis verhindern will, dass jemand sein Revier betritt. « Ihr Blick blieb an einer pseudoaztekischen Maske hängen. »In diesem Zusammenhang könnte Irina Portner auch die Alarmanlage erwähnt haben. Und Kira Schönenberg hat daraufhin so beiläufig wie möglich das Terrain sondiert.«
»Hm«, machte Werneuchen, der noch immer nicht restlos überzeugt war. »Aber wie kommen wir von dort zu Merle Olsens Vergewaltigung?«
»Zufall«, entgegnete Winnie Heller lapidar. »Vielleicht hatte Kira Schönenberg irgendwas anderes mit Portner vor. Vielleicht hatte sie auch gar nichts vor. Aber dann will es der Zufall, dass ihre Lebensgefährtin Opfer eines Serienvergewaltigers wird.« Sie überlegte kurz. »Das war für Kira mit Sicherheit ein Schock, denn sie hängt meiner Einschätzung nach sehr an ihrer aktuellen Freundin. Aber Merle verrennt sich mehr und mehr in die Jagd nach dem Täter, sie kauen die Sache immer wieder durch, und so erfährt Kira ohne eigenes Zutun mehr über den Vergewaltiger, als ihr vielleicht sogar lieb ist.«
»Moment«, unterbrach sie Werneuchen. »Was sollte sie denn über ihn erfahren haben? Wir wussten doch selbst nichts.«
»Das ist nicht ganz richtig«, korrigierte ihn Winnie. »Wir wussten, zu welcher Tageszeit er üblicherweise zuschlägt. Wie er ins Haus kommt. Womit der die Frauen außer Gefecht setzt. Und … das Allerwichtigste: Wir wussten, dass er seine Opfer vor der Tat beobachtet.« Sie dachte an das Gespräch, das sie mit Dr. Kerr geführt hatte. Wie würden Sie diese Frauen beschreiben? Und: Würden Sie eine von ihnen als übertrieben vorsichtig einstufen? »Bei allen Frauen, die der Artist sich bislang ausgesucht hat, handelt es sich um extrem starke Persönlichkeiten. Sie sind sich aus den unterschiedlichsten
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