Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
Ärzte können verdammt hartnäckig sein, das sage ich Ihnen aus Erfahrung.« Er ließ ein entnervtes Stöhnen
hören. »Trotzdem ist alles, was wir haben, ein bisschen Klatsch.«
»Und der lautet?«
»Dass Florentine ein unbeschwertes, fröhliches junges Mädchen gewesen ist. Nicht überdurchschnittlich begabt, aber offen und herzlich. Bis sie sich dann von einem Tag auf den anderen plötzlich in sich selbst zurückzog.«
»Vielleicht, weil ihr jemand Gewalt angetan hat?«
»Ja, vielleicht.«
Unserer Erfahrung nach begehen solche Täter ihre ersten Delikte nicht selten in ihrem engeren persönlichen Umfeld, um den Radius dann langsam, aber sicher auszuweiten , stimmte ein imaginärer Marc Kolmar ihr zu. Ich gehe davon aus, dass das damalige Opfer den Übergriff überlebt und sich bewusst dafür entschieden hat, seinen Vergewaltiger nicht anzuzeigen …
Winnie Heller biss sich auf die Lippen. »Vielleicht ist das der Beginn der Serie, nach dem wir gesucht haben.«
Wieczorek gab ein unwilliges Knurren von sich. »Möglich.«
»Und sonst?«
»Sein Apartment sieht aus wie eine Wartehalle«, antwortete der Kollege von der Abteilung für Sexualdelikte. »Und die Nachbarn haben ihn so gut wie nie zu Gesicht bekommen. Der Kerl, der unter ihm wohnt, behauptet, dass Kender viel unterwegs ist, vor allem nachts. Aber er hat angenommen, dass er im Schichtdienst arbeitet, und sich nichts dabei gedacht. «
»Und er hat auch keine Trophäen, Mappen mit Zeitungsartikeln oder Ähnliches in seiner Wohnung?«, scherzte Winnie müde.
»Nein, gar nichts. Dieser Mann besitzt nicht mal Fotos. Er hat keine Bilder an den Wänden, keine Haustiere, keine persönliche Note. Nur einen Großbildfernseher und haufenweise Bücher übers Theater und über Reptilien und ihre Lebensräume. «
»Wieso ist Kender eigentlich Tierpfleger geworden, wenn er ursprünglich Maskenbildnerei gelernt hat?«, fragte Winnie.
»Weil er beim Theater rausgeflogen ist und keinen neuen Job gefunden hat.«
»Wissen Sie den Grund für den Rausschmiss?«
»Das Übliche. Ein neuer Intendant, der seine eigenen Leute mitbringt und die alten rausekelt, wenn er sie nicht anders dazu kriegt, ihren Platz zu räumen.«
»Ich dachte, so was betrifft nur Sänger und Schauspieler«, sagte Winnie.
»In diesem Fall war es Kender wohl gar nicht so unlieb, dass er gehen konnte«, entgegnete der Kollege vom K 12. »Er hatte sich angeblich schon längere Zeit intensiv mit der Biologie von Reptilien und Insekten beschäftigt und nichts dagegen, sein Hobby zum Beruf zu machen.« Wieczorek zögerte kurz, bevor er hinzufügte: »Muss fast so ’ne Art Besessenheit bei ihm sein, nach allem, was man so hört. Seine Theaterkollegen von damals behaupten jedenfalls, dass er selbst während der Arbeitszeit Schlangen und Geckos und so was Ähnliches seziert habe. Was indirekt wiederum einen Bezug zu Florentine Reding herstellen würde.«
Winnie Heller schüttelte verständnislos den Kopf. »Wie das?«
»Na ja …« Wieczorek druckste eine Weile herum. Offenbar war es ihm peinlich, etwas, das er selbst für unausgegoren hielt, an eine Kollegin weiterzugeben. Noch dazu an eine, die nicht zu seiner Abteilung gehörte. »Es hat vielleicht nichts zu bedeuten«, sagte er schließlich mit hörbarem Widerwillen, »aber Karoline Reding, Sie wissen schon, die Mutter des Mädchens, die Selbstmord begangen hat …«
»Ja?«
»Der von ihr gegründete Verlag hieß Chamäleon-Verlag …«
11
»Nougat schmeckt immer «, verkündete Dominik Rieß-Semper im Brustton der Überzeugung und widersprach damit Silvie Verhoevens eher pädagogisch als sachlich begründeter These, nach der die anhaltende Hitze den Genuss gewisser Nahrungsmittel schmälere, wenn nicht gar verbiete.
»Mag sein«, entgegnete sie. »Aber trotzdem kaufen wir heute keine Nougatherzen.«
»Warum nicht? Die Strafe ist doch rum.«
»Weil das Nougat geschmolzen sein wird, bevor wir draußen sind, und weil ihr dann wieder ausseht wie die kleinen Ferkel.«
»Macht nichts«, versicherte ihr der Freund ihrer Tochter mit charmant-raffiniertem Engelslächeln.
»Oh doch, glaub mir«, widersprach Silvie mit einem flüchtigen Seitenblick auf das hellblaue T-Shirt des Jungen, das entschieden neu aussah. »Deiner Mutter wird es sehr wohl etwas machen.«
»Dann essen wir das Zeug eben gleich hier«, schlug Dominik eilig einen neuen Weg ein, weil er sah, dass er auf dem alten nicht
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