Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
hier aus anzurufen. Das hat er mitbekommen. Und vielleicht hat er befürchtet, dass es ihr auch gelungen ist, uns einen entsprechenden Hinweis zu geben.«
Verhoeven schien nicht überzeugt, aber er ging auch nicht weiter darauf ein. Stattdessen fragte er: »Wo, zum Teufel, kann er ihre Leiche gelassen haben?«
Lübke, der darauf bestanden hatte, die Sache selbst zu übernehmen, hatte sich als Erstes Damian Kenders Nissan vorgeknöpft und ihn auf Blut- und Faserspuren der verschwundenen Journalistin durchsucht – ohne Ergebnis. Und auch die Durchsuchung des Geländes hatte bislang nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht.
»In seinem Wagen transportiert hat er sie jedenfalls nicht«, resümierte Winnie Heller. »Und Freds Hyundai ist, was das betrifft, ebenfalls sauber. Das hat Lübke gerade durchgegeben. «
»Aber dann müsste sie doch eigentlich noch hier sein, oder?«
Winnie Heller verzog das Gesicht. »Die Frage ist, wo.« Sie stutzte. »Ich meine, ich will doch nicht hoffen, dass er sie zerhackt und den Löwen zum Fraß vorgeworfen hat, oder … Hey, was ist?«
Ihr Vorgesetzter war mitten auf dem Weg stehen geblieben
und starrte gedankenverloren auf den brüchigen Asphalt zu seinen Füßen.
»Mir ist nur gerade etwas eingefallen«, murmelte er.
»Und was?«
Er sah hoch. »Unsere Waschküche.«
Winnie Heller lächelte. »Muss ich das jetzt verstehen?«
»Nein.« Verhoeven lächelte auch. »Aber kommen Sie mit, ich will mir etwas ansehen.«
Sie folgte ihm, zurück zum Exotarium.
»Da hinten ist es«, sagte Verhoeven und stürmte auf das Geländer um das Fenster zu, das Einblick in die Zisterne des Gebäudes gewährte. »Sehen Sie?«
»Ich sehe Wasser«, antwortete Winnie unsicher. »Ziemlich viel Wasser, um genau zu sein. Und ein paar verdammt große Muscheln. Und …«
»Genau das ist es«, fiel Verhoeven ihr ins Wort, bevor er grimmig seine knapp sechsjährige Tochter zitierte: »Vorräte sind wichtig. Aber wenn wir das Wasser nicht lassen dürfen, wachsen sie nicht.«
Winnie Heller schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, aber ich fürchte, das ist mir einfach zu hoch.«
»Es bedeutet zwei Dinge«, erklärte Verhoeven. »Erstens, dass meine Frau tut, was sie will. Und zweitens, dass da unten ein Raum ist, den wir uns noch nicht angesehen haben.«
13
Jo hatte nicht die geringste Vorstellung, wie viel Zeit inzwischen vergangen war. Genau genommen hatte sie nicht einmal eine Vorstellung davon, wie es ihr ging. Wie schwer verletzt sie war. Ob sie eine Chance hatte.
Irgendwann war sie einfach aufgewacht, und danach hatte es eine ganze Weile gedauert, bis in ihr Bewusstsein gedrungen
war, dass sie sich nicht bewegen konnte. Mehr noch: dass sie ihren Körper nicht einmal mehr spürte . Von Zeit zu Zeit hatte sie ein entferntes Kribbeln wahrgenommen. So als seien ihr vor einer schieren Ewigkeit Arme und Beine eingeschlafen. Doch das Gefühl hatte sich jedes Mal wieder verflüchtigt, bevor sie wirklich etwas damit anfangen konnte.
Sie hatte lange gebraucht, bis sie zu schreien gewagt hatte, und anschließend genauso lange, um ihre erfolglosen Versuche wieder aufzugeben. Inzwischen war sie nicht einmal sicher, ob sie noch eine Stimme hatte. Oder lebte …
Sie dachte an einen Artikel, den sie gelesen hatte, irgendwann in einem Hotelzimmer. Ein Bericht über Menschen und ihre Nahtod-Erfahrungen. Kein Thema eigentlich, das sie interessierte. Sie war kein gläubiger Mensch, sondern – im Gegenteil – zutiefst davon überzeugt, dass der Tod den Tod bedeutete. Und zwar ausschließlich den Tod. Den Ausfall sämtlicher Körperfunktionen einschließlich des sogenannten Bewusstseins – wenn man Pech hatte, in eben dieser Reihenfolge. Was danach kam, war ihr von jeher so schnuppe gewesen wie die Anzahl der Nudeln in einer ihrer Vorratsdosen. Trotzdem hatte sie den Artikel damals gelesen.
Und nun dachte sie bereits seit Stunden an eben diesen Artikel, wieder und wieder. An das Licht, das die befragten Nahtod-Kandidaten unabhängig von ihrem sozialen und kulturellen Hintergrund erstaunlich einhellig geschildert hatten und das angeblich die Schwelle zu etwas ganz Neuem markiere. Etwas, das Jo damals nur müde belächelt hatte und vermutlich noch immer müde belächeln würde, wenn sie sich in einer anderen Lage befände.
Seltsamerweise dachte Jo auch an den Comedian, der gescherzt hatte, dieses Licht sei womöglich Gottes letzter Scherz, ein gigantischer Fliegenfänger, auf den
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