Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
Tierärztin, ohne lange nachdenken zu müssen. »Da ich, wie gesagt, eigentlich gar nicht zuständig war, habe ich mich dort auf das Nötigste beschränkt. Ich habe die grundlegende medizinische Versorgung sichergestellt und darüber hinaus ein paar Impfungen vorgenommen. Außerdem gab es einen Notfall mit einem Nashornleguan, der sich verletzt hatte.« Sie sah ihre Besucherin aus großen dunklen Augen an. »Diese Tiere sind leider sehr selten geworden, aber in Frankfurt gelingt ihnen bereits seit über zwanzig Jahren die Nachzucht. Ich habe die Wunde des Tieres versorgt und zwei Tage später noch mal kurz nach dem Rechten gesehen.«
Winnie Heller nickte. Der Radius, den wir abzuklopfen haben, wird immer größer, dachte sie unbehaglich. Und so, wie die Schilderungen der Tierärztin klangen, konnte sie sich eigentlich nicht vorstellen, dass es zwischen ihr und den anderen Opfern nennenswerte Schnittmengen gab. Genau wie Wieczorek gesagt hatte …
»Haben Sie Hobbys?«, fragte sie mit einem Gefühl von Resignation.
Merle Olsen lächelte. »Ich nehme an, Sie meinen solche, bei denen ich das Haus verlasse?«
Winnie Heller erwiderte ihr Lächeln. »Ich meine solche,
bei denen Sie mit anderen Leuten in Kontakt kommen.« Und die die Liste, die wir abzuarbeiten haben, noch verlängern , fügte sie in Gedanken hinzu.
Doch zu ihrer Erleichterung schüttelte Merle Olsen lächelnd den Kopf. »Mein Beruf ist mein Hobby«, erklärte sie, und Winnie Heller glaubte ihr aufs Wort. »Ich liebe die Arbeit in der Praxis. Weit mehr, als ich das Unterrichten liebe.« Sie hob beinahe entschuldigend die Achseln. »Das mit der Uni mache ich eigentlich nur, weil ich es für wichtig halte, die eigene Begeisterung für eine Sache irgendwie weiterzugeben. Aber so ein Lehrauftrag impliziert natürlich auch, dass man sich immer auf dem aktuellsten Stand halten muss. Und das wiederum heißt, dass ich neben der Praxis viel lesen muss. Fachliteratur, Studien, Forschungsberichte von Kollegen. Bei all dem bleibt dann zwar nicht allzu viel Zeit und Energie für andere Dinge, aber das ist schon okay so.« Sie griff gedankenverloren nach ihrer Kaffeetasse. »Zum Ausgleich gehen wir hin und wieder mal in die Oper. Oder in ein schönes Konzert.«
»Mit wir meinen Sie sich und Ihre Freundin?«
Sie nickte, augenscheinlich überrascht, dass das überhaupt eine Frage war. »Ja.«
»Gehen Sie auch mal allein?«
Merle Olsen lachte. »Ich fürchte, ich bin von Natur aus kein besonders geselliger Typ. Und wenn mich nicht irgendwer mitschleift, bleibe ich eigentlich am liebsten zu Hause und koche. Oder hänge einfach träge auf dem Sofa rum und sehe mir irgendeinen stumpfsinnigen Fernsehfilm an.«
Sympathisch, dachte Winnie Heller, die ihre rare Freizeit mit Ausnahme ihrer kollegialen Pokerrunden auch am liebsten in ihrem dreiunddreißig Quadratmeter kleinen Apartment verbrachte, ohne das Gefühl zu haben, irgendetwas zu verpassen. »Das bedeutet also, dass jemand, der Sie trifft, Ihnen entweder beruflich oder in Begleitung begegnet?«, fasste sie noch einmal zusammen, was sie bislang erfahren hatte.
»Na ja …« Jetzt schien Merle Olsen doch ein wenig unsicher zu werden. »Im Großen und Ganzen schon. Aber natürlich gehe ich auch hin und wieder mal in die Stadt, shoppen oder so …«
Und dieses »oder so« ist ein Teil unseres Problems, dachte Winnie Heller grimmig. Denn genau genommen könnte der Artist ihr überall begegnet sein. In ihrer Praxis. Im Zoo. An der Uni. An der Kasse im Supermarkt. Oder er war ganz einfach der Kerl, der an der roten Ampel neben ihr stand. Vielleicht ist sie ihm aufgefallen, und er ist einfach hinter ihr hergefahren. Vielleicht war es so simpel …
So banal …
»Ich schreibe Ihnen auf, was ich weiß«, sagte Merle Olsen in diesem Augenblick, als ahne sie, mit welch düsteren Gedanken sich ihre Gesprächspartnerin gerade herumschlug.
»Das wäre sehr hilfreich.« Winnie Heller blickte wieder zu Kira Schönenberg hinüber, die trotz der stetig zunehmenden Hitze aussah, als würde sie frieren. »Wie lange sind Sie beide eigentlich schon …« Sie brach ab und merkte, wie sie rot wurde. »Ich meine …«
Merle Olsen schenkte ihr ein nachsichtiges Lächeln. »Über sechs Jahre.«
»Verzeihen Sie, dass ich Sie das fragen muss«, sagte Winnie, ohne sicher zu sein, bei welcher der beiden Frauen sie sich gerade entschuldigte. »Aber waren Sie vorher auch mal mit Männern … also … mit einem Mann
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