Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
unerbittliche Jägerin unter den Gottesanbeterinnen hing die meiste Zeit des Tages von irgendeinem Zweig herab und sah dabei wie ein dürres, zerfressenes Blatt aus. Aber wenn ein Beutetier so dumm war, ihr zu nahe zu kommen, packte sie zu. Unerbittlich und mit tödlicher Präzision.
Wenn du nicht willst, dass man dich sieht, gib einfach vor, etwas zu sein, was du nicht bist.
Der Kerl schräg gegenüber hat sich unterdessen ein wenig beruhigt. Das liegt hauptsächlich daran, dass er sein Essen
bekommen hat, irgendwas Überbackenes mit Pommes frites und Salat. Er ist ein Genussesser und dabei körperlich faul bis zum Anschlag, aber er bringt es fertig, seiner Umgebung zu suggerieren, dass sein Übergewicht lediglich auf genetischem Pech beruhe. Würde man dagegen ein Foto seiner Herzkranzgefäße betrachten, käme man wahrscheinlich zu dem Schluss, dass seine Prasserei nicht mehr lange ungestraft bleiben wird. Damian warf einen kurzen Blick auf den Teller des Mannes und überlegte, wie lange der Typ wohl schon derart vorsichtig war. Und warum. Instinkte waren etwas, über das man von Natur aus verfügte – der eine mehr, der andere weniger. Aber die Vorsicht dieses Kerls fiel deutlich aus dem Rahmen.
Vielleicht hatte er schlechte Erfahrungen gemacht.
Oder Dreck am Stecken.
Oder beides.
Damian nickte und wandte seine Aufmerksamkeit einer sportlichen Blondine zu, die ein Stück weiter links saß. Sie war etwa Mitte dreißig und das glatte Gegenteil von dem vorsichtigen Fettsack: furchtlos und so unbekümmert, dass es schon wehtat. Sie saß allein an einem Tisch mitten im Raum, und wahrscheinlich würde sie es nicht mal bemerken, wenn ihr jemand auf dem Weg zum Klo von hinten zwischen die Beine griffe. Sie lebte nach dem Motto: Hoppla, Welt, hier komme ich. Und vermutlich hielt sie sich selbst für intelligent und stark, wenn nicht gar unbesiegbar. In ihrem Profil, das selbstredend bei einer ganzen Reihe von Internet-Partnerbörsen gepostet ist, beschreibt sie sich als »lebenslustige Blondine«, die »gern Party macht und ihren Spaß hat«. Dazu gibt es drei Fotos, ein leidlich gelungenes Porträt und zwei Schnappschüsse, einer davon im Bikini. Hey, schöner Unbekannter, wenn du keine Angst vor dominanten Frauen hast, dann schreib mir doch einfach mit aussagekräftigem Foto …
Damian verzog abschätzig den Mund. Das war noch so etwas, was er von den Tieren gelernt hatte: was wahre Dominanz
bedeutet. Und wie oft die Menschen danebenlagen, wenn sie zu deuten versuchten, was sich direkt vor ihren Augen abspielte. Hunde zum Beispiel wurden so gnadenlos verkannt, dass er oft nur mit dem Kopf schütteln konnte, wenn er sie mit ihren Besitzern im Park beobachtete. Der Rüde, der bei jeder Gelegenheit auf andere Hunde losging, der alles und jeden ankläffte und auch schon mal wild um sich schnappte, war der Unsicherste von allen, auch wenn sein Herrchen fast platzte vor Stolz darüber, dass sich sein »Jack« oder »Bandit« oder »Zorro« derart durchsetzungsfreudig und kompromisslos zeigte. Dabei hatte es ein wahrhaft dominanter Rüde überhaupt nicht nötig, irgendetwas auf derart brachiale Weise klarzustellen. Im Gegenteil: Während Herrchen oder Frauchen noch gerührt von »extrem langmütig« oder einem »herzensguten Kerl« sprachen, hatte der Betreffende längst mit einem einzigen Blick klargestellt, dass man ihm besser nicht dumm kam. Und falls es doch mal einer versuchte (was extrem unwahrscheinlich war, schließlich verfügten die Tiere im Gegensatz zu ihren Besitzern meist über recht gut funktionierende Instinkte), konnte es passieren, das sich der betreffende Rüde vor seinem Rivalen auf den Rücken legte und diesem kackfrech seine ungeschützte Kehle präsentierte.
Ach, schau doch nur, wie bereitwillig er sich unterordnet, hieß es dann – je nach Einstellung des Besitzers verzückt oder enttäuscht.
Dabei wartete der vermeintlich Unterlegene nur darauf, dass sein Widersacher sich täuschen ließ. Und dann packte er zu. Blitzschnell. Absolut zielgenau. Und ohne einen Funken Gnade mit seinem Opfer.
Im Grund dasselbe Prinzip wie bei der Wandelnden Geige.
Und genauso effektiv.
Ja, dachte Damian, das sind dann jene Fälle, in denen sich die Besitzer des Angreifers die Fahrt zum Tierarzt sparen können.
Auch Unterwerfung ist eine Form von Dominanz. Dominanz durch die Hintertür, gewissermaßen.
Er nahm die Rechnung, die die Kellnerin
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