Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)

unverkennbar unter Stress stehe.
    Viel zu tun im Augenblick  …
    »Woran arbeiten Sie gerade?«
    »Sie haben doch bestimmt von der aktuellen Vergewaltigungsserie gehört.«
    »Sicher.« Dr. Kerr öffnete eine Kladde, die vor ihr auf dem dunklen Holz des Schreibtischs lag, doch Winnies erstem Eindruck nach enthielt sie nichts als unbeschriebenes Papier. »Sind Sie mit der Sache befasst?«
    »Seit neuestem. Ja.«
    »Viel Material, hm?«
    »Allerdings.«
    »Und sonst?«
    »Oh …« Winnie Heller lachte, und es klang entsetzlich unecht. »Zu und sonst  komme ich im Augenblick gar nicht.«
    Die Psychologin nickte. »Das ist klar.«
    Winnie sah auf ihre Armbanduhr und stöhnte. »Hören Sie, Sie sind bestimmt wahnsinnig kompetent auf Ihrem Gebiet und …«
    Ein amüsiertes Lächeln auf der anderen Seite des Schreibtischs.
    »… und wahrscheinlich haben Sie vollkommen recht damit, dass ich mir selbst in die Tasche lüge, wenn ich mir einrede, mit allem, was das Leben so bringt, allein fertigzuwerden. Aber im Moment habe ich wirklich weder Zeit noch Lust, auf irgendwelchen alten Knochen herumzukauen, verstehen Sie das?«
    »O ja, durchaus.«
    Winnie hob irritiert den Kopf. Leute, die sich nicht wehrten, wenn sie unverschämt wurde, machten sie irgendwie nervös. »Ich meine, wir haben diesen Fall am Hals, und eigentlich habe ich schon ein schlechtes Gewissen, wenn ich mich mal für ein oder zwei Stunden aufs Ohr lege. Und wenn mein Boss mich nicht mit roher Gewalt dazu gezwungen hätte, wäre ich gar nicht hier. Zumindest nicht jetzt und …« Sie
brach ab, in der Hoffnung, dass Dr. Kerr ihr irgendwie zu Hilfe kommen würde. Doch die Psychologin schwieg. »Wie auch immer«, schloss Winnie, als ihr die Stille zu unbequem wurde, »jedenfalls ist das hier nicht der richtige Zeitpunkt.«
    Dr. Kerr sah sie aus klaren grünen Augen an. »Gibt es Ihrer Meinung nach denn so etwas wie einen richtigen Zeitpunkt? «
    »Oh, na klar, ganz bestimmt gibt es den«, entgegnete Winnie Heller mit einer Mischung aus Erleichterung und Sarkasmus.
    »Wann?«
    »Na ja, zum Beispiel wenn dieser Fall, an dem wir gerade arbeiten, abgeschlossen ist.«
    Das sicherte ihr zumindest erst mal eine Galgenfrist. Und die Formulierung »an dem wir gerade arbeiten« bewies Teamfähigkeit und eine gesunde Einschätzung des eigenen Wertes. Nicht zu viel, nicht zu wenig …
    Amanda Kerr nickte und wechselte dann völlig überraschend das Thema. »Wie geht es Frau Portner inzwischen?«
    Winnie Heller hob die Brauen. »Sie sind mit dem Fall vertraut? «
    »Ihre Kollegen vom K 12 haben mich vor kurzem um eine Stellungnahme gebeten.«
    »Sie meinen, zum Täter?«
    »Mit der Erstellung eines entsprechenden Profils ist ein Kollege von mir befasst«, wiegelte die Psychologin ab.
    »Ich weiß«, antwortete Winnie Heller. »Wir hatten bereits gestern das Vergnügen.«
    »Da haben Sie wirklich einen kompetenten Mann erwischt«, erklärte Dr. Kerr, und es klang durchaus aufrichtig. »Marc Kolmar ist ein ausgezeichneter Kenner der Materie, der die meiste Zeit des Jahres in den Staaten verbringt, wo er an mehreren Langzeitstudien mit zum Tode verurteilten Serientätern beteiligt ist. Bei dem, was ich zu der ganzen Sache beisteuern
sollte, ging es mehr um eine allgemeine Einschätzung der kognitiven Verknüpfungen.«
    »Und?« Winnie betrachtete sie mit neuem Interesse. »Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?«
    Doch Amanda Kerr dachte nicht im Traum daran, den Köder zu schlucken. »Sie haben Ihr Studium mit Bestnoten in Psychologie und Kriminologie abgeschlossen, nicht wahr?«, stellte sie fest und demonstrierte damit nicht nur, dass sie Überraschungseffekte liebte, sondern auch, dass sie Winnie Hellers Personalakte studiert hatte. Dass sie vorbereitet war auf dieses Gespräch, das sie miteinander führen mussten.
    »Ja«, entgegnete Winnie knapp.
    »Weil dieses Gebiet Sie interessiert hat, nehme ich an?«
    »Keine Ahnung. Vielleicht hat es der Dozent auch einfach verstanden, die Sache gut zu verpacken.«
    »Wen hatten Sie?«
    »Liesenfeldt.«
    »Guter Mann«, nickte die Psychologin, und trotz der Beiläufigkeit der Bemerkung schien sie ehrlich zu meinen, was sie sagte.
    Trotzdem witterte Winnie Heller bei diesem Thema automatisch einen Hintergedanken. Dr. Liesenfeldts Kurse in Vernehmungstechnik, Kinesiologie und forensischer Psychologie waren nun einmal leider nicht die einzigen Erfahrungen, die sie auf diesem Gebiet hatte. Aber da der Zustand nach