HMJ06 - Das Ritual
wäre, hätten wir ein Riesenproblem gehabt.«
Eli dachte, ich habe einen Sauerstoffschlauch in der Nase, einen Morphiumtropf im linken Arm, einen weiteren intravenösen Tropf im rechten und einen Katheter in der Blase, durch den blutiger Urin in den Sack rinnt, der am Bett hängt. Das würde ich nicht gerade einen Glücksfall nennen.
Dr. Sadiq fuhr fort: »Das Messer hat die Basis Ihres Penis verletzt und ist um Haaresbreite an der Harnröhre vorbeigegangen. Ihren Penis haben wir gerettet, nicht aber Ihren rechten Hoden, fürchte ich. Er war zu sehr verletzt. Ich musste ihn leider entfernen.«
Während Eli dem Arzt zuhörte, schien sich der Raum schlagartig zu verdunkeln. Es waren nicht so sehr die Details, dass er körperlich verstümmelt worden war und dass man ein Stück von ihm hatte amputieren müssen –, sondern allein die Tatsache, dass es überhaupt dazu gekommen war. Was war mit seiner Unverletzbarkeit? Warum hatte diese Eigenschaft versagt?
Noch wichtiger schien die Frage: Wer war dieser Kerl in der vergangenen Nacht? War die Begegnung zufällig erfolgt, oder war es möglich, dass der Bursche ihn und Adrian gezielt verfolgt hatte? Wusste er über den Zirkel Bescheid?
Eli zwang sich zu einem Lächeln. »Ich habe nicht die Absicht, eine Familie zu gründen. Nicht in meinem Alter.«
»Sie brauchen sich wegen Ihrer sexuellen Funktionsfähigkeit keine Sorgen zu machen. Es wird sicherlich einige Narben geben, und das könnte Ihre Erektionsfähigkeit ein wenig beeinträchtigen, aber bei entsprechender Fürsorge und einer geeigneten Therapie sollten Sie in ein, zwei Monaten Ihre volle sexuelle Fähigkeit wiedererlangt haben.«
Eli interessierte sich nicht für seine sexuellen Fähigkeiten. In der letzten Nacht war es nicht um Sex gegangen, obwohl der Mann, der sie attackiert hatte, dies offenbar angenommen hatte. Eli konnte es ihm nicht übel nehmen. Zwei Männer in der Dunkelheit mit einem bewusstlosen kleinen Jungen … der prosaische, ahnungslose Geist würde augenblicklich zu einer solchen Schlussfolgerung kommen. Aber der Zirkel hatte ganz andere Dinge im Sinn als Sex.
Eli wollte nicht mehr über seine Verletzungen oder seine Chancen auf eine völlige Wiederherstellung sprechen. Er wechselte das Thema.
»Mein Freund, Mr. Minkin, der mit den Kopfverletzungen … wie geht es ihm?«
Adrian war ein Ochse von Mann, trotzdem hatte der Angreifer ihn blitzartig ausgeschaltet und bewusstlos zu Boden gestreckt.
Dr. Sadiq schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht. Er wurde in die neurologische Abteilung verlegt. Ist er Ihr … Partner?«
»Partner?«
Wie um alles auf der Welt sollte Dr. Sadiq darauf kommen, dass Adrian irgendetwas mit dem Laden zu tun hatte? Es sei denn … nahm er etwa an, dass Adrian und er ein Liebespaar waren? Ja, das musste es sein.
Zorn stieg in Eli hoch. Was war los mit dieser Welt? Es konnte sich doch nicht alles nur um Sex drehen!
»O nein«, antwortete Eli. »Er ist nur ein guter Freund.«
Ein winziges Verschieben seiner Hüften wurde sofort mit einer heftigen Schmerzwoge belohnt. Er war plötzlich furchtbar müde.
»Ich glaube, ich sollte jetzt ein wenig schlafen, Doktor.«
»Natürlich.« Dr. Sadiq nickte. »Ich schaue heute Abend wieder nach Ihnen.«
Sobald der Arzt die Tür hinter sich geschlossen hatte, streckte Eli die Hand nach dem Dosierknopf aus und bearbeitete ihn, als wäre er eine Morsetaste. Schon bald tauchte er in einen Zustand köstlicher Lethargie ein, die die Schmerzen verdrängte und ihn von seinen bohrenden Fragen nach dem Mann erlöste, der aus der Dunkelheit der City gekommen war und so vernichtend zugeschlagen hatte.
4
Jack blieb vor den Geschäftsräumen von Municipal Coins in der West Fifty-fourth stehen. Er hatte schon am Vortag hierher kommen wollen, doch Gias Offenbarung hatte ihm einen mehr als dicken Strich durch diesen Plan gemacht.
Die Mittagssonne brach sich auf den Gold- und Silbermünzen der Schaufensterauslage, die auf Hochglanz poliert waren. Jacks Interesse galt aber vielmehr Eli Bellittos letzten Worten als den Schätzen im Schaufenster.
Ich habe weder einen Bruder namens Edward noch irgendeinen anderen. Ich bin Einzelkind gewesen.
Jemand log hier.
Eli Bellitto war ein Kinderschänder, höchstwahrscheinlich auch ein Kindermörder – wenn man ein Kind entführt, so wie Bellitto und sein Kumpan es getan hatten, dann wird man das Kind wohl nicht mehr freilassen. Daher war in diesem Punkt mit Lügen zu rechnen. Aber
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