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HMJ06 - Das Ritual

HMJ06 - Das Ritual

Titel: HMJ06 - Das Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Paul Wilson
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erwartete, da in Letzterem noch umfangreiche Reparaturen ausgeführt werden müssten.
    Jack sah Gia fragend an. »Macht es dir etwas aus, hier zu bleiben, während ich rauf gehe? Ich muss was Geschäftliches besprechen. Es dauert nur eine Minute.«
    »Nimm dir Zeit«, erwiderte sie. »Ich bleib hier unten … und schaue mich ein wenig um.«
    Jack zwinkerte ihr zu und folgte Charlie in den Flur und die Treppe hinauf. Danach schlenderte Gia durch den Flur und betrat die Küche. Sie warf einen Blick in ein Nebenzimmer, in dem ein teilweise auseinander genommener Fernseher stand. Er war jedoch eingeschaltet, und über den Bildschirm flimmerte eine Dukakis-for-President-Wahlwerbung. Offenbar der History Channel oder eine Dokumentation. Sie ging weiter zur Hintertür und blickte hinaus in den Garten: eine Fläche vertrockneten, ungepflegten Rasens, umgeben von einer Ligusterhecke. Kein kleines Mädchen.
    Enttäuscht kehrte Gia ins Wartezimmer zurück.
    Nun, was hatte sie auch erwartet? Trotzdem war sie froh, hergekommen zu sein. Sie hatte getan, was sie für nötig gehalten hatte, und konnte dieses Mädchen vielleicht jetzt aus ihrem Bewusstsein streichen.
    Gia griff nach einer der Broschüren über das Menelaus Manor, um sich über das Haus und seine Geschichte zu informieren. Ein kleines Heft rutschte heraus. Auf dem Umschlag stand: WER? ICH? Mit der Autorenangabe »von J. T. C.« in der unteren Ecke. Sie schlug das Heft auf und sah die Zeichnung einer Kirche und die Worte »Fisherman’s Club« und »Eine Ausgabe für Laien«. Veröffentlicht von Chick Publications.
    Gia blätterte weiter und begriff sofort, dass es ein Traktat war, das die Wiedergeburt propagierte, und in dem die christlichen Leser aufgefordert wurden, kleine Betgemeinschaften ins Leben zu rufen und »Seelenfischer« zu werden, indem sie Nichtgläubige für Jesus Christus begeisterten.
    Was war es nur, dachte sie, das fundamentalistische Sekten dazu trieb, andere Menschen zu ihrem Glauben zu bekehren? Dieser Antrieb, die Leute zu überreden, sich ihrer Denkungsart anzuschließen … woher kam dieses Bestreben?
    Noch akuter war jedoch die Frage: Wer hatte diese Schriften hier verteilt? Und was hoffte er oder sie damit zu erreichen? Menschen, die sich an spirituelle Medien wie Ifasen wandten, hatten ihr Glück sicherlich längst bei allen wichtigen Religionen versucht und diese dann verworfen.
    Sie ging die anderen Menelaus-Broschüren durch und fand ein weiteres Chick-Pamphlet mit dem Titel »Das war Dein Leben!«. Während sie es aufschlug hörte sie, wie die Stimme eines Kindes sang.
    »I think we’re alone now …«
    Gia fuhr herum, und ihr blieb fast das Herz stehen. Da war es – das kleine blonde Mädchen. Es stand in der Tür zum Flur, die blauen Augen ein helles Leuchten, während es Gia anschaute. Es trug die gleiche rot-weiß karierte Bluse, dieselbe braune Reithose und dieselben Stiefel wie am Tag zuvor.
    »Hallo«, begrüßte Gia es. »Wie heißt du?«
    Das Mädchen lächelte nicht und gab keine Antwort. Es hatte die Hände vor der Brust gefaltet, während es sang, und hielt den Blick auf Gia gerichtet.
    »Wohnst du hier?«
    Das Lied erklang weiter. Es hatte eine schöne Stimme, klar und fest. Aber dieses ständige, sture Singen verursachte Gia Unbehagen. Während das Mädchen offenbar die nächste Strophe begann, griff es sich mit den Händen an den Halsausschnitt der Bluse und begann, sie aufzuknöpfen.
    Einigermaßen ratlos verfolgte Gia das Geschehen. »Was tust du?«
    Der geradezu zwanghafte Gesang und der leere Blick in den Augen des Mädchens wirkten jetzt nur noch irritierend. Und nun dies … Es machte Anstalten, sich auszuziehen …
    War sie geistig gestört?
    »Bitte, tu das nicht«, sagte Gia.
    Die Luft im Raum war plötzlich zum Schneiden dick, als der letzte Knopf durch das Knopfloch rutschte und das Kind die beiden Vorderteile der Bluse ergriff, auseinander zog und eine nackte Brust entblößte … eine Brust mit einer großen, unregelmäßig roten Wunde in der Mitte …
    Nein-nein-nein, keine Wunde, ein klaffendes blutiges Loch, ein klaffendes blutiges leeres Loch, in dem dort, wo ein Herz hätte schlagen müssen, nur eine vollkommen dunkle Leere zu sehen war …
     
     

10
     
    Jack war gerade mitten in seiner Beschreibung der von ihm verfeinerten Version des als Spanisches Taschentuch bekannten Täuschungsmanövers bei Madame Pomerol, als er Gias Schrei hörte. Ehe ihm bewusst wurde, was er tat, fand er sich schon im

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