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HMJ06 - Das Ritual

HMJ06 - Das Ritual

Titel: HMJ06 - Das Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Paul Wilson
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empfinden, wenn er schon in Kürze wieder mit seinem uralten Mentor Ogunfiditimi kommunizierte? Lyle war todmüde. Er fühlte sich, als hätte er den Tag damit verbracht, einen Ironman-Triathlon hinter sich zu bringen.
    Tara Portman oder was immer es war hatte während der Nacht nach ihrer Geistschreibe-Demo Ruhe gegeben. Keine Geräusche, kein Blut, kein Zerbrechen irgendwelcher Gegenstände. Trotzdem hatte Lyle keinen Schlaf gefunden. Allein das unbewusste Warten auf Lärm, Blut oder Zerstörung hatte seine Matratze in ein Nagelbrett verwandelt.
    Charlie hingegen wirkte an diesem Morgen frisch und gut ausgeruht. Das hatte er zweifellos seiner Bibel zu verdanken.
    Doch Lyles Unwohlsein ging über reine Müdigkeit hinaus. Er konnte die Ursache nicht eindeutig identifizieren. Es war weniger so, dass er sich schlecht fühlte. Eher fühlte er sich nicht richtig. Er fühlte sich … verändert. Die Welt sah anders aus, und sie fühlte sich auch anders an. Die Schatten erschienen dunkler, härter, die Lampen heller, schärfer, die Luft kam ihm elektrisch aufgeladen vor, als ob irgendwo etwas Gefährliches, Bedrohliches lauerte.
    Er schüttelte dieses Gefühl ab. Eine Menge Arbeit wartete auf ihn.
    Nachdem der Channeling-Raum repariert worden war, hatten sie für die Sitzungen neue Termine festgelegt. Lyle hatte seine Verabredungen so terminiert, dass er genügend Zeit für ein Treffen mit Konstantin Kristadoulou hatte. Gleich am frühen Morgen hatte er den alten Immobilienmakler angerufen und sich mit ihm für 13.00 Uhr verabredet. Jack hatte er eine Nachricht mit der Angabe von Ort und Zeit des Treffens hinterlassen.
    Aber das würde erst kurz nach Mittag stattfinden. Im Augenblick musste er sich auf das aktuelle Geschehen konzentrieren, und damit war Lyle nun überhaupt nicht zufrieden. Melba Toomey war aber auch alles andere als eine ideale Kundin. Lyle schrieb es seinem leicht desolaten Zustand zu, dass sie durch den routinemäßigen Überprüfungsprozess gerutscht war. Sie wäre niemals ein gutes Objekt, erst recht nicht als erste Kundin des Tages.
    Aber sie hatte das Honorar für eine private Sitzung bezahlt und saß ihm nun am Tisch gegenüber. Bekleidet war sie mit ihrem Hauskleid und einem mit einem geblümten Tuch verzierten Strohhut. Und die dunklen Augen in ihrem schwarzen Gesicht leuchteten voll gespannter Erwartung.
    Laut den Angaben auf ihrem Fragebogen war Melba dreiundfünfzig und arbeitete als Putzfrau. Sie war überhaupt nicht typisch für Ifasens Klientel und gehörte ganz gewiss nicht zu der gesellschaftlichen Schicht, die ei umwarb.
    Lyle krümmte sich innerlich bei dem Gedanken, wie lange sie gebraucht haben musste, um genug Geld für eine private Sitzung zu sparen. Aber sie hatte auf dem Fragebogen eingetragen, dass sie zu ihm gekommen wäre, weil er schwarz sei –sie sagte nicht afroamerikanisch. Schwarz.
    Melba Toomey wollte wissen, ob ihr Mann Clarence am Leben oder tot war. Und falls er tot wäre, wollte sie mit ihm sprechen.
    Lyle gab sich alle Mühe, die Sorte von Kunden zu meiden, deren Wünsche und Anliegen die Möglichkeiten, seine Antworten den jeweiligen Gegebenheiten anzupassen, einschränkten. Melba war die schlimmste Vertreterin dieser Sorte: Lebendig oder tot … gab es eine klarere Schwarz-oder-weiß-Ja-oder-nein-Entscheidung als diese? Sie ließ ihm null Möglichkeiten, eine Antwort zu finden, die ihm ein Hintertürchen offen ließ.
    Er würde durch Melba eine kalte Befragung über Clarence einschieben, um sich einen Eindruck zu verschaffen, was für ein Mensch Clarence war, um halbwegs sicher erraten zu können, ob er noch am Leben oder schon tot war.
    Diesmal werde ich für mein tägliches Brot ganz schön schwitzen müssen, dachte er.
    Lyle hatte zwei kartoffelgroße Steine auf den Tisch gelegt. Dazu erklärte er der Frau, sie stammten vom Geburtsort Ogunfiditimis. Und weil Ogunfiditimi sie überhaupt nicht kannte, verstärkte es die erste Kontaktaufnahme, wenn sie diese Steine ganz fest in die Hände nahm. Außerdem würden auf diese Weise ihre Hände dort bleiben, wo Lyle sie ständig sehen konnte.
    Um die richtige Atmosphäre zu erzeugen – und um ein wenig Zeit totzuschlagen – bediente Lyle Melba mit den obligatorischen Menübeilagen, nämlich dem wackelnden Tisch und dem schwankenden Stuhl, ehe er richtig zur Sache kam.
    Lyle tauchte aus seiner Pseudotrance auf und sah die Frau aufmerksam an. Ihre Gesichtszüge wirkten im matten roten Licht der Deckenbeleuchtung leicht

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