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HMJ06 - Das Ritual

HMJ06 - Das Ritual

Titel: HMJ06 - Das Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Paul Wilson
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verschwommen, doch immer noch deutlich genug, um aufschnappen zu können, was er für seinen Auftritt brauchte. Körpersprache, sichtbare Zeichen in Form eines Blinzelns, eines Verziehens des Mundes, eines Zuckens der Wange … Lyle konnte sie beurteilen und einschätzen wie ein alter Seemann das Meer.
    Zuerst ein paar Schwindelmanöver. Sie hatte auf ihrem Fragebogen angegeben, dass Clarence seit dem 2. Juni verschwunden sei. Damit würde er anfangen.
    »Ich spüre ein seltsames Weitwegsein … eine Trennung seit … warum kommt mir ständig der Anfang des Monats Juni in den Sinn?«
    »Der zweite Juni!«, rief Melba. »An diesem Datum habe ich Clarence zum letzten Mal gesehen! Er ging morgens zur Arbeit und kam nicht mehr nach Hause. Seitdem habe ich von ihm weder etwas gesehen noch etwas gehört.« Sie holte ein benutztes Papiertaschentuch aus der Tasche ihres Hauskleides und tupfte sich damit die Augen ab. »O Herrgott im Himmel, Sie haben tatsächlich die Gabe, nicht wahr?«
    O ja, dachte Lyle. Die Gabe. Mich an das zu erinnern, von dem du schon vergessen hast, dass du es mir erzählt hast.
    »Bitte behalten Sie die Steine in den Händen, Melba«, wies er sie an. »Es schwächt den Kontakt, wenn Sie sie davon lösen.«
    »O Verzeihung.« Sie legte die Hände wieder auf die Steine.
    Gut. Behalt sie dort, dachte er.
    Das Letzte, was er von ihr wollte, war, dass sie nach ihrer Handtasche griff. Denn Charlie, von Kopf bis Fuß in schwarze Kleidung gehüllt, müsste längst aus seiner Kommandozentrale herausgeschlichen sein und sich bereithalten, sie von dort, wo sie neben dem Stuhl der Frau auf dem Fußboden stand, fortzunehmen.
    »Ich habe es bei der Polizei gemeldet, aber ich glaube, die tun nicht sehr viel, um ihn zu finden. Sie scheinen sich kein bisschen dafür zu interessieren.«
    »Sie haben eine Menge zu tun, Melba«, sagte er zu ihr.
    Ihre Verzweiflung weckte einen Anflug von Schuldbewusstsein in ihm. Er würde für sie auch nicht mehr tun als die Cops.
    Wert für Wert …
    Er verscheuchte diesen Gedanken und bereitete eine neue Schwindelnummer vor. Die erste war nur für ein anfängliches Aufwärmen gut gewesen, sozusagen, um das Eis zu brechen und ihr Vertrauen zu gewinnen. Jetzt würde es ein wenig heftiger werden.
    Er überlegte: Sie putzt in Häusern, trägt Kleidung aus Schlussverkäufen. Daher konnte er sich nicht vorstellen, dass Clarence irgendein Firmenmanager war. Sie hatte erwähnt, dass er morgens zur Arbeit gegangen war, als wäre das eine völlig alltäglich Routine gewesen. Es bestand die Chance, dass er einen festen Handwerkerjob hatte und vielleicht sogar Mitglied der Gewerkschaft war.
    Schwindel Nummer zwei …
    »Warum kommt mir in den Sinn, dass er in einem Handwerk tätig war?«
    »Er war Elektriker!«
    »Ein treuer Gewerkschaftler.«
    Sie runzelte die Stirn. »Nein. Er war nie in einer Gewerkschaft.«
    Autsch, ein Ausrutscher, jedoch leicht zu retten. »Aber ich habe das Gefühl, dass er der Gewerkschaft beitreten wollte.«
    »Ja! Woher wissen Sie das? Dieser arme Mann. Er hat es so oft versucht, aber er wurde niemals akzeptiert. Ständig sprach er davon, wie viel Geld mehr er verdienen könnte, wenn er in der Gewerkschaft wäre.«
    Lyle nickte. »Aha, das war es, was ich empfangen habe.«
    Mal sehen … Handwerker, frustriert … vielleicht ging Clarence nach der Arbeit gerne einen trinken? Und selbst wenn er ein Abstinenzler oder ein ehemaliger Trinker war, so bot der Hang zum Trinken einen geeigneten Bezugspunkt.
    »Ich habe einen Eindruck von einem nur unzureichend erleuchteten Raum, dem Geruch von Tabaksqualm, dem Klirren von Trinkgläsern …«
    »Leon’s! Schrecklich! Er ging oft nach der Arbeit hin und kam dann nach Bier stinkend nach Hause. Manchmal tauchte er erst nach Mitternacht zu Hause auf. Wir hatten entsetzliche Streite deswegen.«
    Betrunken …, frustriert … Versuch es, aber bleib vage.
    »Ich komme zu der Feststellung, dass etwas Schlimmes geschah, oder?«
    Melba senkte den Blick. »Er hatte niemals die Absicht, mir wehzutun. Es war nur so, dass er, wenn ich ihn richtig in Rage gebracht hatte, nachdem er spät zu Hause eintrudelte, schon mal ausholte und zuschlug. Er hat es eigentlich nicht so gemeint. Aber jetzt, wo er nicht mehr da ist …« Sie schluchzte und griff wieder nach dem Taschentuch, um sich die Augen abzutupfen. »Ich hätte ihn lieber spät zu Hause als gar nicht mehr.«
    »Ich verliere den Kontakt!«, warnte Lyle. »Die Hände! Die Steine. Bitte

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