HMJ06 - Das Ritual
Renovierungen. Der alte Kastor starb 1965. An Bauchspeicheldrüsenkrebs. Nachdem Dimitri das Anwesen geerbt hatte – seine Mutter war bereits 1961 gestorben –, kam er zu mir, um sich einen Rat zu holen. Ich war damals als Makler für eine andere Firma tätig, und er wollte, dass ich ihm Schreiner und Maurer empfehle, die seinen Keller herrichten sollten. Er hat zwei von der Liste, die ich ihm gab, engagiert. Ich fühlte mich irgendwie verantwortlich, daher ging ich gelegentlich dort vorbei, um die Leute zu kontrollieren – um mich zu vergewissern, dass sie anständige Arbeit leisteten.« Er schüttelte den Kopf. »Sehr merkwürdig.«
Na komm schon, spuck’s aus, dachte Jack. »Inwiefern?«
»Er kleidete den Keller mit großen Granitblöcken aus, die er aus Rumänien hatte kommen lassen. Er erzählte mir, sie kämen von einem so genannten ›Ort der Kraft‹, was immer er damit gemeint hat. Sie wären ursprünglich Teile einer alten verfallenen Festung gewesen, doch wenn Sie mich fragen, so glaube ich, dass sie aus einer Kirche stammten.«
»Wie das?«, fragte Lyle.
»Weil einige von ihnen Kreuze aufwiesen.«
Jack schaute Lyle an, der plötzlich stocksteif auf seinem Stuhl saß.
»Kreuze? Welcher Art?«
»Komisch, dass Sie danach fragen. Es waren keine normalen Kreuze. Sie glichen eher einem großen T mit einem hoch angesetzten Querbalken und einer kleinen Wölbung auf dem vertikalen Teil.«
»Tau«, flüsterte Lyle.
»Genau!«, sagte Kristadoulou und deutete mit einem Wurstfinger auf ihn. »Wie der Buchstabe Tau. Woher wissen Sie das?«
Lyles Blick irrte kurz zu Jack. »Wir haben ein paar dieser Kreuze im Haus entdeckt. Aber noch einmal zu den Steinblöcken mit den Tau-Kreuzen. Ist es möglich, dass sie von einer griechisch-orthodoxen Kirche stammen?«
Kristadoulou schüttelte den Kopf. »Ich bin früher viel gereist, habe zahlreiche orthodoxe Kirchen besucht, solche Kreuze dort aber nie gesehen.« Erneutes Kopf schütteln. »Keine gute Sache, Kirchensteine zu stehlen. Damit handelt man sich nur Schwierigkeiten ein. Und genau die hat Dimitri bekommen.«
»Sie meinen seinen Selbstmord«, sagte Jack, als er sich an das erinnerte, was Gia ihm aus Lyles Broschüre vorgelesen hatte.
»Ja. Man hatte gerade einen Krebs der Bauchspeicheldrüse bei ihm diagnostiziert. Er hatte schon miterlebt, wie sein Vater darunter litt. Ich vermute, diesen Qualen wollte er sich nicht aussetzen, daher …«
»Wann war das?«, fragte Jack.
»1995, glaube ich.«
Er war also dreißig Jahre lang Eigentümer gewesen, dachte Jack. In den Zeitraum fiel auch das Jahr, in dem Tara Portman verschwand. Dimitri musste also darin verwickelt sein.
»Dimitri hatte sich nicht die Mühe gemacht, ein Testament zu hinterlassen«, fuhr Kristadoulou fort, »und das führte zu Problemen. Da keine Kinder und auch keine Ehefrau vorhanden waren, landete die Sache beim Nachlassgericht. Nach Jahren gerichtlicher Auseinandersetzungen ging das Menelaus Manor an einen von Dimitris Cousins, der nichts damit zu schaffen haben wollte. Er rief mich an und gab mir den Auftrag, es so schnell wie möglich zu verkaufen.«
»Und Dr. Singh hat es gekauft, richtig?«, sagte Lyle.
»Aber erst nachdem eine Menge anderer potenzieller Käufer es nicht hatten haben wollen. Der Keller war der große Haken. All diese Steinblöcke, die ich schon erwähnte. Und da ich gerade die Blöcke erwähne: Als ich das Haus inspizierte, ehe ich es offiziell zum Kauf anbot, ging ich hinunter in den Keller und stellte fest, dass alle Kreuze entfernt worden waren.«
»Haben Sie eine Ahnung, weshalb?«
»Genauso wenig wie ich eine Ahnung habe, weshalb er den nackten Erdboden gelassen hatte.«
»Moment mal«, sagte Jack. »Erdboden?«
»Ja. Können Sie sich so etwas vorstellen? Dimitri hat die enormen Kosten auf sich genommen, diese Steinblöcke zu importieren, und dann hat er den Fußboden nicht beendet.«
Vielleicht weil es so viel einfacher ist, Dinge zu vergraben, die niemand sehen soll, dachte Jack.
»Der Neffe war nicht bereit, weitere Kosten für Renovierungsarbeiten aufzuwenden, daher gingen wir mit dem Preis runter. Schließlich hat ein Gefäßchirurg namens Singh es für ein Butterbrot gekauft.«
»Lange hat er sich nicht darüber gefreut, soweit ich mich entsinne«, sagte Lyle.
Kristadoulou nickte. »Er und seine Frau modernisierten die Inneneinrichtung und renovierten den Keller, indem sie die Granitblöcke mit Holz verkleideten und einen Zementboden gießen
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