HMJ06 - Das Ritual
Schaufenster hängen gehabt, seit er den Laden eröffnet hatte. Er war schon zu der Überzeugung gelangt, dass er auch noch dort hängen würde, wenn er das Geschäft irgendwann aufgäbe.
»Ich habe ihn nicht nur verkauft, ich habe sogar den von uns festgesetzten Preis bekommen.« Gert lächelte stolz. »Ist so was zu fassen? Nach all den Jahren werde ich diesen hässlichen alten Fisch richtig vermissen, glaube ich.«
Eli blätterte zum Dienstag zurück, dem Tag, an dem der junge Angestellte alleine hier gewesen war und im Laden die Stellung gehalten hatte. Er hatte beinahe Angst, einen Blick auf die Seite zu werfen. Zu seiner Überraschung sah er eine ziemlich lange Liste von Verkäufen. Es schien, als wäre Kevin über sich selbst hinausgewachsen. Vielleicht war der Junge …
Eli erstarrte, als sein Blick auf einer Zeile zur Ruhe kam. Sie lautete: Schlüsselanhänger- $10 –Jack.
Nein! Das ist nicht … das kann nicht … das darf nicht … das …
Sich an der Theke festhaltend, zog sich Eli vom Hocker hoch und humpelte in den hinteren Teil des Ladens zu der kleinen Vitrine – seiner Vitrine.
»Mr. Bellitto!«, rief Gert ihm nach. »Seien Sie vorsichtig. Wenn Sie etwas brauchen, hol ich es Ihnen gern.«
Er ignorierte Gertrudes Angebot, ignorierte die Schmerzen, die durch seinen Unterleib wogten, und ging weiter, stützte sich auf seinen Stock, während er am Rand eines Panikanfalls entlangbalancierte. Verzweifelt versuchte er, einen klaren Kopf zu behalten, indem er sich einredete, dass der Eintrag ein Fehler, ein Irrtum war. Sicher war es eine alte Uhrkette, die dieser Trottel Kevin irrtümlich für einen Schlüsselanhänger gehalten hatte.
Was ihn jedoch der Panik mehr und mehr in die Arme trieb, war die Erinnerung an den seltsam gekleideten rothaarigen Mann, der am Sonntagabend hereingekommen war und ihm eine geradezu grotesk hohe Summe für ein albernes Kinkerlitzchen geboten hatte. Er hatte nicht länger über diesen Vorfall nachgedacht und den Mann als jemanden abgetan, der die Zeit totschlagen wollte und sie sich mit lächerlichen Feilschversuchen vertrieb: Wenn es zu kaufen ist, finde heraus, wie weit der Preis herunterzuhandeln ist; wenn nicht, finde heraus, wie viel du bieten musst, damit der Eigentümer sich am Ende doch davon trennt.
Aber jetzt … jetzt erschien dieser Vorfall wie eine dunkle, drohende Wolke in seinem Gehirn.
Er bog um die Gangecke. Die Vitrine kam in Sicht. Das Schloss … er gestattete sich ein knappes Lächeln … das Schloss, das liebe, gute, alte Messingvorhängeschloss, befand sich noch immer an Ort und Stelle, und es war zugeschnappt, alles, wie es immer war.
Und der Schlüsselanhänger, dieses Ding mit dem Zeichentrickhasen, war …
Verschwunden!
Eli sank gegen die Vitrine, hielt sich am eichenen Holzrahmen fest. Seine schweißnassen Hände verschmierten die Glasscheibe, durch die er auf die leere Stelle auf dem Glasboden starrte.
Nein! Er träumte das alles! Das musste ein Irrtum sein!
Er ergriff das Vorhängeschloss und zog daran, aber es gab nicht nach.
Die Luft schien mit zersplittertem Glas erfüllt zu sein, jeder Atemzug schnitt in seine Lungen.
Wie? Wie war das möglich? Er hatte doch den einzigen Schlüssel. Objekte treten nicht durch Glasscheiben. Also wie …?
»Mr. Bellitto?« Das war Gerts Stimme hinter ihm.
»Eli!« Adrian. »Was ist los?«
Und dann umringten sie ihn. Gert, Adrian und der stumme Kevin. Ja … Kevin, der wieselige, vorwitzige kleine Scheißkerl.
Eli funkelte ihn drohend an. »Du hast etwas aus dieser Vitrine verkauft, nicht wahr?«
»Was?« Kevin erbleichte und schüttelte heftig den Kopf. »Nein, ich …«
»Doch, das hast du! Einen Schlüsselring mit einer Hasenfigur daran! Gib’s zu!«
»Ach das. Ja. Aber der Anhänger kann nicht aus dieser Vitrine gekommen sein. Ich habe keinen Schlüssel.«
»Er kommt aber von dort!«, brüllte Eli. »Du weißt verdammt genau, dass er da drin war! Verrate mir mal, wie du ihn rausgeholt hast!«
»Das habe ich nicht!« Er schien jeden Augenblick losweinen zu wollen. »Der Mann kam damit zur Theke. Als ich sah, dass kein Preisschild dranklebte …«
»Siehst du!« Er hob den Stock und schüttelte ihn drohend vor Kevins Gesicht. Er hätte ihm am liebsten den dämlichen Schädel eingeschlagen. »Genau das hätte dir auffallen müssen! Wie kann man etwas ohne Preisschild verkaufen? Erklär mir das mal!«
»Ich … ich habe Sie deswegen im Krankenhaus angerufen.«
»Das ist eine
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