HMJ06 - Das Ritual
Stein gefunden. Bis jetzt war jeder Stein ausreichend mit Mörtel eingefügt worden.
Etwas an diesen Steinen erzeugte bei Jack ein tiefes Unbehagen. Sie gaben seltsame Schwingungen von sich, die den Wunsch in ihm weckten, sie sofort wieder zu verhüllen, sie vor den Augen der Menschen zu verbergen. Sie gehörten nicht hierher, und es schien fast, als wussten sie das auch und wollten wieder dorthin zurückkehren, woher sie gekommen waren – nach Rumänien, nicht wahr? Diejenigen, die man ihres Kreuzes beraubt hatte, waren am schlimmsten. Die leeren Vertiefungen sahen wie tote Augenhöhlen aus, die ihn anstarrten.
Während sie arbeiteten, hatte Jack ihnen geschildert, wie er in den Besitz von Tara Portmans Schlüsselanhänger gelangt war. Dabei hatte er natürlich keinerlei Namen genannt und auch die Messerstecherei mit Eli Bellitto nicht erwähnt.
Lyle zählte die einzelnen Punkte an den Fingern auf. »Zuerst lernen Sie Junie Moon kennen, bringen sie hierher, betreten das Haus und wecken Tara Portman. Zwei Tage später engagiert Sie jemand, um auf jemanden anders aufzupassen, der angeblich sein Bruder ist. Doch dann erfahren Sie, dass Ihr Auftraggeber keine Geschwister hat. Und während Sie diesen Mann, der gar keinen Bruder hat, überwachen, können Sie ihm einen Schlüsselanhänger abluchsen, der zufälligerweise Tara Portman gehört.« Er schüttelte den Kopf. »Ein kompliziertes Durcheinander.«
Und keinerlei Zufälle, dachte Jack düster und fragte sich, welcher Sinn hinter all dem stecken konnte. Und warum war Gia darin verwickelt? Die ganze Situation beunruhigte ihn in höchstem Maße.
Lyle hebelte einen tellergroßen Rest Holztäfelung von einem Holzpfosten und schleuderte ihn auf einen wachsenden Schutthaufen am Ende des Kellers.
»Aber nur weil er Taras Schlüsselanhänger besitzt, braucht dieser Bursche nicht unbedingt ihr Mörder zu sein. Er könnte das Ding auf der Straße gefunden oder auf einem Flohmarkt gekauft haben.«
Jack überlegte, wie viel er den beiden wohl erzählen könnte. Da sie auf seiner Seite des Gesetzes lebten, entschied er, ihnen ein wenig mehr anzuvertrauen.
»Wenn ich Ihnen nun verrate, dass ich mit eigenen Augen gesehen habe, wie er ein Kind entführte, während ich ihn überwachte?«
Charlie starrte ihn mit großen Augen an. »Jetzt machen Sie aber Witze, oder?«
Jack schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, es wäre so. Und das ist noch nicht alles – dieser Kerl besitzt eine ganze Vitrine voller Kinderkram. Das ist fast so was wie ein Trophäenschrank.«
»O Mann.« Lyle wirkte trotz seiner dunklen Hautfarbe ziemlich blass um die Nase. »O Mann. Was ist mit diesem entführten Kind passiert?«
»Ich hab’s re-entführt.«
»Hey! Hey!« Charlie richtete einen Finger auf Jack, als wollte er ihn damit durchlöchern. »Der vietnamesische Junge! Das waren Sie!«
»Dazu will ich mich lieber nicht äußern.«
»Sie waren es!« Charlie grinste. »Sie sind ein Held, Jack.«
Jack zuckte die Achseln und wandte sich wieder dem Balken zu, den er von den Steinen losgehebelt hatte. Worte wie »Held« waren ihm unangenehm. Genauso wie der Begriff »Kunst« schienen sie heutzutage viel zu oft benutzt zu werden.
»Sie hätten das Gleiche getan. Das hätte jeder.« Er lenkte das Gespräch von seiner Person weg. »Ich gehe jede Wette ein, dass zwischen diesem Burschen und dem großen Dimitri Menelaus irgendeine Verbindung besteht. Falls ich Recht habe, muss man befürchten, hier unten mehr als nur die sterblichen Überreste von Tara Portman zu finden.«
Was sich bestens in Lyles PR-Pläne einbauen ließe.
Lyle lehnte sich an die Wand. »Ein Serienmörder.« Er klang nicht sehr glücklich.
»Mehr als einer«, sagte Jack. »Eher ein ganzer Club von solchen Kerlen. Wenn ich eine Verbindung zu Dimitri herstellen kann …«
»Was dann?«
Zwischen zwei Steinblöcken fand er hinter dem Holzpfosten einen Spalt und schob das Stemmeisen hinein. Unter dem protestierenden Kreischen von Nägeln und dem Knirschen zersplitternden Holzes wuchtete er den Pfosten mit einem wütenden Ruck aus seiner Verankerung.
»Dann werden sich ein paar Leute wünschen, nie geboren worden zu sein.«
Lyle starrte ihn an. »Hat Sie jemand dafür engagiert?«
»Nein.«
Jack wollte noch immer wissen, wer es gewesen war, der ihm den Auftrag gegeben hatte, auf Eli Bellitto aufzupassen. Aber nein, niemand würde ihn für das bezahlen, was mit Bellitto und seiner Bande geschehen würde.
»Warum sind Sie dann
Weitere Kostenlose Bücher