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HMJ06 - Das Ritual

HMJ06 - Das Ritual

Titel: HMJ06 - Das Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Paul Wilson
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die Schwestern von Unserer hoffnungsvollen Mutter keine Highschool. Dies gestattete Gia, in die säkulare Lasterhöhle, auch bekannt als das staatliche Schulsystem, zurückzukehren. Aber sie war trotzdem eine praktizierende Katholikin gewesen und besuchte Kurse für katholische Glaubenslehre und nahm an Tanzfesten der katholischen Jugendorganisation teil.
    Irgendwann im Laufe der achtziger Jahre ging sie zu all dem auf Distanz und kam eigentlich nie mehr zurück. Nicht dass sie aufhörte, an Gott zu glauben. Sie konnte sich nicht mit dem Atheismus anfreunden, ja, noch nicht einmal mit dem Agnostizismus. Sie war überzeugt, dass Gott existierte. Genauso überzeugt war sie, dass er sich nicht viel darum scherte, was hier vor sich ging. Vielleicht beobachtete er es, aber er griff ganz sicher nicht ein.
    Als Kind hatte sie den Gott des Alten Testaments als streng und Ehrfurcht gebietend empfunden, nun hingegen erschien er ihr wie ein quengeliger, trotziger Jugendlicher mit unzureichender Selbstkontrolle, der Katastrophen auslöste, Plagen sandte, die Erstgeborenen einer ganzen Nation niederstreckte. Sie fand das Neue Testament viel reizvoller, doch irgendwann hatte die ganze Erlösungs- und Verdammungsgeschichte für sie keinen Sinn mehr ergeben. Man bat nicht darum, geboren zu werden, aber sobald man das Licht der Welt erblickte, musste man voll und ganz auf die Glaubenslinie einschwenken oder für alle Ewigkeit in der Hölle schmoren. In den Zeiten des Alten Testaments war es relativ leicht, gläubig zu sein, denn Er ließ Büsche brennen, teilte Meere und schickte Gebote auf Steintafeln. Aber heutzutage hatte Gott sich zurückgezogen, kümmerte sich nicht länger um die Belange der Menschen, forderte aber weiter den blinden Glauben. Das war einfach nicht fair.
    Natürlich, wenn man Gott ist, braucht man nicht fair zu sein. Man hatte alle Fäden in der Hand. Was man befahl, geschah.
    Dennoch …
    Gia hatte versucht, in den Schoß der Kirche zurückzukehren, nachdem Vicky geboren war. Ein Kind sollte eine moralische Basis haben, auf der es sein Leben aufbauen konnte, und die Kirche schien ein bewährter und zuverlässiger Ort zu sein, um diese Basis zu liefern. In ihrem Hinterkopf hatte die Vorstellung bestanden, dass, wenn Gia in die christliche Gemeinde zurückkehrte, Gott Vicky beschützen würde.
    Doch Gia fand den Zugang nicht mehr. Und es war beängstigend offensichtlich, dass Gott Kinder nicht beschützte. Sie starben an Gehirntumoren, Leukämie und anderen Krebsarten, wurden von Automobilen überfahren, erschossen, erlitten Stromschläge, stürzten von Gebäuden, verkohlten in brennenden Häusern und fanden auf unzählige unvorstellbare Arten und Weisen den Tod. Unschuld war ganz eindeutig nicht genug, um sich den Schutz Gottes zu verdienen.
    Wo war Gott bei all dem?
    Hatten die Wiedergeborenen vielleicht doch Recht? War Jesus ihr persönlicher Beschützer, der jeden ihrer Schritte verfolgte und ihre Gebete erhörte? Sie beteten zu Jesus Christus, dass ihre alte Mühle an einem kalten Morgen ansprang. Und wenn sie es tat, priesen sie Ihn und bedankten sich bei Ihm. Gia konnte sich nicht mit einer Gottessicht anfreunden, die den Schöpfer des Universums zu einer Art kosmischem Laufburschen für seine gläubigen Anhänger machte. Kinder verhungerten, Tara Portmans wurden entführt und ermordet, politische Gefangene folterte man, Ehefrauen wurden missbraucht, aber Gott ignorierte ihr Flehen um Hilfe, um die Gebete der Wahren Gläubigen zu erhören, die sich gutes Wetter für den Tag des nächsten Pfarrfestes wünschten. Ergab das einen Sinn?
    Trotzdem, wenn sie die Wiedergeborenen betrachtete, die sie kannte – es waren nur ein paar, aber sie waren gute Menschen, die das, was sie beteten, auch in ihrem Alltagsleben praktizierten –, und wenn sie sich ihre innere Sicherheit, ihren inneren Frieden ansah, dann beneidete sie sie. Sie konnten sagen »So Gott will« und mit einem unerschütterlichen Vertrauen davon ausgehen, dass Gott sich ihrer annahm und am Ende alles wieder in Ordnung bringen würde. Gia wünschte sich diese Ruhe und Gelassenheit für sich selbst, aber die Fähigkeit – vielleicht die Überheblichkeit – zu glauben, dass sie für den Schöpfer des Universums wichtig war und bei ihm fast immer Gehör finden würde, blieb unerreichbar.
    Das andere Extrem war der Gott, der den großen Knall ausgelöst hatte, dann kehrtgemacht und sich zurückgezogen hatte, um nie wieder zurückzukehren.
    Gia ahnte,

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