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HMJ06 - Das Ritual

HMJ06 - Das Ritual

Titel: HMJ06 - Das Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Paul Wilson
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war das Ende. Seine Fluchtmöglichkeiten waren erschöpft.
    »Du – du bist ein Dämon!«
    Sie lachte wieder. »Jetzt machst du dich wirklich lächerlich.«
    Sein Verstand schrie: Was soll ich tun, was soll ich tun?
    Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Das hatte er nicht erwartet, darauf war er nicht vorbereitet. Niemals hätte er in seinen schlimmsten Albträumen auch nur angenommen, dass ihm ein leibhaftiger Dämon erscheinen würde. Ich hätte auf den Reverend hören sollen, hätte seinen Rat befolgen und meine Sachen zusammenpacken und das Weite suchen sollen.
    Beten! Natürlich! Worte aus dem dreiundzwanzigsten Psalm kamen ihm in den Sinn.
    Er erhob die Stimme. ›»Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab …‹«
    »›Im finstern Tal‹«, sagte sie, sah sich um und nickte. »Ja. Genau dort sind wir.« Sie deutete auf das Loch, das er gegraben hatte. »Du bist nur noch knapp zwanzig Zentimeter von meinem Kopf entfernt. Wenn du weitergräbst, wirst du mich finden.«
    Charlie fuchtelte mit den Händen in der Luft herum, als wollte er sie vertreiben. »Nein! Du kannst mich nicht zum Narren halten! Du bist nicht Tara Portman!«
    Das Kind runzelte die Stirn. »Warum gräbst du dann?«
    Die Frage überrumpelte Charlie regelrecht. Ja, warum grub er eigentlich? Weil er mit Lyle eine Abmachung getroffen hatte. Und weil …
    »Weil Tara Portman hier begraben sein könnte. Aber du bist es nicht.«
    Ihre blauen Augen wurden eisig. »Oh, aber ich bin es. Ich bin nicht die Einzige, die hier unten liegt. Dort.« Sie deutete auf ein Loch, das Jack etwa zwei Meter links von Charlie gegraben hatte. »Dreißig Zentimeter tiefer, und ihr hättet Jerry Schwartz gefunden. Er war erst sieben. Und genau dort wo du sitzt, anderthalb Meter tiefer, liegt Rose Howard. Sie war neun, so wie ich.«
    Charlie wäre am liebsten aufgesprungen und hätte den Platz schnellstens verlassen, doch er schaffte es nicht, auch nur ein Glied zu rühren.
    Plötzlich verschwand sie, tauchte aber praktisch gleichzeitig in einer weiter entfernten Ecke des Raums wieder auf.
    »Hier liegt Jason Moskowski.«
    Charlie blinzelte. Und sie befand sich in einer anderen Ecke des Kellers.
    »An dieser Stelle liegt Carrie Martin.«
    Sie sprang zu drei anderen Punkten und nannte jedes Mal den Namen eines anderen Kindes. Und mit jedem Namen wurde der Ausdruck ihrer Augen eisiger, und die Temperatur im Keller sank.
    Plötzlich stand sie vor ihm, keinen Meter entfernt.
    »Es sind acht von uns«, sagte sie, und ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
    Der Herr mochte ihm verzeihen, aber er fing an, ihrer Erzählung zu glauben. Vielleicht irrte sich der Reverend. Vielleicht war das gar kein Dämon. Vielleicht war das tatsächlich der Geist eines ermordeten Kindes.
    Oder vielleicht war es das, was der Dämon, Gesandter des Vaters aller Lügen, ihn glauben machen wollte.
    Im Keller herrschte jetzt eine arktische Kälte. Seine Atemzüge gestalteten sich zu einer Folge weißer Dampfwolken in der Luft. Er massierte seine nackten Arme. Sein verschwitztes T-Shirt schien an seiner Wirbelsäule festzufrieren. Er sah sein Sweatshirt zusammengerollt neben dem Schutthaufen liegen.
    Er erhob sich schwankend. »Ich hole eben meinen Sweater, okay?«
    »Warum fragst du mich?«, wollte sie wissen.
    Gute Frage. Sie hatte ihn nicht bedroht oder sonstwie bedrängt. Allein ihr Anblick hatte ihn in ein Häuflein Elend verwandelt.
    Er hob sein Kapuzenshirt auf und schlüpfte hinein. Das war schon besser, auch wenn ihm noch immer kalt war.
    »Du willst, dass wir deinen Körper und die der anderen finden. Das ist es doch, nicht wahr? Deshalb bist du zurückgekommen, stimmt’s?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Warum dann?« Eine Woge der Angst drohte Charlie zu verschlingen. »Du willst meine Seele!«
    Sie lachte, als wäre das eine ganz verrückte Idee. Aber der silberhelle Klang ihrer Stimme wollte nicht zu dem harten Ausdruck ihrer eisigen Augen passen.
    Charlies Hand berührte die Anstecknadel in seinem Hemd, wwjd – was würde Jesus in einem Fall wie diesem tun?
    Das war einfach: Er würde diesem Spuk oder Dämon befehlen, dorthin zurückzukehren, wohin er gehörte. Aber Charlie hatte wohl kaum die gleiche Macht wie Jesus Christus. Dennoch … einen Versuch war es wert.
    »Geh dorthin zurück, woher du gekommen bist!«, rief er.
    Das kleine Mädchen blinzelte. »Aber ich weiß nicht, woher ich gekommen

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