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HMJ06 - Das Ritual

HMJ06 - Das Ritual

Titel: HMJ06 - Das Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Paul Wilson
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und nicht die geringste Angst verspürte. Der Grund war, dass sie diese arme, einsame Seele verstand, dass sie genau wusste, was sie in diesem Augenblick brauchte.
    »Mir passiert schon nichts.«
    Er schüttelte wieder den Kopf. »Wir gehen beide, oder wir bleiben.«
    »Wissen Sie was?« Sie ergriff Charlies Arm und führte ihn zur Treppe. »Wir gehen beide hinauf, und dann komme ich für ein paar Minuten hierher zurück.«
    Doch als sie die Treppe erreichten, blieb Gia stehen – nicht weil sie es wollte, sondern weil etwas ihr den Weg versperrte. Eine unsichtbare Wand.
    Eine böse Vorahnung ließ sie heftig frösteln, und sie wandte sich um. »Tara?«
    »Du kannst nicht weggehen«, sagte Tara. »Die Mutter muss hierbleiben.«
    Das ist der eigentliche Punkt, dachte Gia. Sie wünscht sich eine Mutter – sie braucht eine Mutter.
    Sie spürte, wie sich die Ernährerin in ihr meldete, wie sie bereits nach Wegen suchte, dieses Bedürfnis zu stillen. Doch sie musste realistisch sein.
    Als Gia sich dazu äußerte, tat sie es so behutsam wie möglich. »Sieh mal, Tara, ich weiß, dass du deine Mutter bei dir haben willst, aber sie kann nicht kommen. Und ich kann ihren Platz nicht einnehmen, doch wenn ich irgendetwas tun kann …«
    Tara schüttelte den Kopf. »Nein. Du verstehst nicht, ich will keine Mutter.«
    Gia starrte sie verblüfft an. »Was willst du denn …?«
    Plötzlich veränderte sich alles. Eine eiskalte Woge wallte durch die Luft, und Taras Gesichtsausdruck verwandelte sich von kindlicher Unschuld in rasende Wut. Sie fletschte die Zähne.
    »Ich will eine Mutter sein.«
    Plötzlich gab der Boden unter Gias Füßen nach. Sie schrie entsetzt auf, während sie und Charlie in den schwarzen Schacht stürzten, der unter ihnen aufklaffte.
     
     

10
     
    Sobald Lyle aus dem Taxi stieg, spürte er, dass irgendetwas absolut nicht in Ordnung war.
    Dann sah er jemanden auf dem Bürgersteig auf sich zurennen. Er hielt inne, spannte sich, bereit, sofort wieder ins Taxi zu springen, bis er Jack erkannte.
    »Hey, Jack. Wohin so eilig?«
    Jack blieb ein wenig außer Atem vor ihm stehen. »Es geht um Gia. Ich glaube, sie ist hier.«
    »Warum sollte …?« Er brach die Frage ab. »Schon gut. Gehen wir rein und sehen nach.«
    Während sie zum Haus gingen, fragte Lyle: »Sind Sie den ganzen Weg von Manhattan hierher gerannt?«
    »Nur von der U-Bahn-Station.«
    »Warum haben Sie kein Taxi genommen?«
    »Die U-Bahn ist um diese Uhrzeit schneller.«
    Lyle sah Jack an und stellte fest, dass seine Umrisse nicht mehr verschwommen waren. Vielleicht hatte sein besonderes Wahrnehmungsvermögen sich verflüchtigt, vielleicht machte es sich aber auch nur im Haus bemerkbar. Doch je näher Lyle dem Haus kam, desto stärker wurde das Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung war. Er konnte es nicht genau identifizieren, bis …
    »Verdammt noch mal!« Er blieb sofort stehen.
    Jack stoppte ebenfalls. »Was ist?«
    »Die Fenster … die Türen … sie sind zu!« Er lachte. »Das ist ja wunderbar! Jetzt können wir endlich wieder die Klimaanlage einschalten.«
    »Das gefällt mir nicht«, sagte Jack und machte Anstalten weiterzugehen.
    »Warum nicht? Vielleicht bedeutet es, dass was immer auch hier war, sich endlich verzogen hat.«
    »Das bezweifle ich.«
    Lyle folgte Jack, sah, wie er die Treppe zum Vorbau betreten wollte, doch dann zurückzuckte.
    »Was zum Teufel …?«
    Lyle kam zu ihm. »Was ist passiert? Sind Sie ausgerutscht?«
    Und dann konnte Lyle nicht weitergehen. Er starrte auf seinen Fuß, der mitten in der Luft auf halbem Weg zur ersten Stufe regelrecht gestrandet war. Ein eisiges Frösteln lief über seinen Rücken, während er den Fuß nach vorne schob und dabei einiges an Kraft aufwendete. Er kam aber keinen Millimeter weiter als vorher.
    »O Mann!«, stieß er hervor, während es ihm so vorkam, als wühlten eisige Finger in seinen Eingeweiden herum. »O Mann, o Mann, o Mann! Was soll dieser Scheiß?«
    »Keine Ahnung«, antwortete Jack wahrheitsgemäß.
    Er holte aus und schlug in die Luft, doch seine Faust wurde unvermittelt aufgehalten. Lyle versuchte, es ihm nachzumachen. Ein heftiger Schmerz zuckte durch seine Schulter, als seine Hand etwa in gleicher Höhe wie Jacks Hand gestoppt wurde.
    Es war nicht so, als träfe man eine Wand. Es war nicht so, als träfe man auf etwas Konkretes. Es gab keinen Zusammenprall. Seine Hand … stoppte ganz einfach. Und ganz gleich, wie sehr er sich anstrengte, das unsichtbare Hindernis zu

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