HMJ06 - Das Ritual
einem Möbelstück.
»Sie kommen nicht hinein, und niemand von denen, die drin sind, kommt heraus. Sie brauchen die Erlaubnis, um hinein- oder herauszugelangen.«
»Die Erlaubnis? Wie bekommt man so etwas?«
»Das weiß ich nicht genau. Vielleicht indem man dieser Wesenheit etwas anbietet, das sie sich noch mehr wünscht als Ihre Frau.«
Jack sagte nichts, sondern stand nur da und starrte die Frau an.
»Sagen Sie es schon, was meinen Sie?«, verlangte Lyle von der Frau. Es ging um Charlie, auch er schwebte in Gefahr. Da waren ihren Wünschen keine Grenzen gesetzt. »Egal, was es ist, nennen Sie es, und wir werden alles tun, um es zu beschaffen.«
»Es ist kein es«, sagte Jack. Er ging mit einem seltsamen Leuchten in den Augen auf die Tür zu. Es war ein freudiges Leuchten, aber es lag auch etwas verstörend Böses darin. Es ließ Lyle instinktiv zurückweichen. »Es ist ein er. Und ich weiß, wer gemeint ist. Beeilen wir uns.«
Lyle hatte eine plötzliche Eingebung, wer dieser »Er« sein könnte, und war froh, dass nicht er selbst damit gemeint war.
11
»Sind Sie okay?«, fragte Charlie, der ausgestreckt neben ihr lag.
Gia war heftiger auf ihrem linken Bein als auf dem rechten gelandet, und es tat weh. Sie zog das Bein an und versuchte aufzustehen. Dabei lehnte sie sich mit dem Rücken an die Wand, um eine Stütze zu haben. Das Bein trug ihr Gewicht, ohne nachzugeben.
»Ich glaube schon.« Sie klopfte ihre Jeans ab. »Und wie geht es Ihnen?«
Charlie erhob sich ohne Mühe. »Gut.«
Licht drang von oben herab. Gia schaute hoch. Sie konnte die Täfelung der Kellerdecke sehen, aber ringsum war nacktes Erdreich. Sie und Charlie waren in einen brunnenähnlichen Schacht gestürzt, der etwa vier Meter tief war und einen Durchmesser von zwei Metern hatte.
Sie kämpfte gegen eine aufkeimende Panik an, als die Wände auf sie einzustürzen schienen. Sie schloss die Augen und biss die Zähne zusammen, damit dieser Moment vorbeiging. Sie hatte noch nie unter Klaustrophobie gelitten, allerdings war sie auch noch nie zuvor in ein solches Verlies gestoßen worden.
»Tara!«, rief sie. Ihre ausgetrocknete Kehle ließ den Ruf eher wie ein heiseres Krächzen klingen als wie einen Namen. »Tara!«
Keine Antwort.
»Tara, warum tust du das mit uns? Wir haben dir nichts getan. Wir können dir helfen, deinen Mörder zu bestrafen. Bitte, lass uns raus!«
Oben blieb es still.
Gias Herz schlug heftig, während sie mit den Händen über die glatte gerundete Wand strich. Die Erde war festgestampft und wies keinerlei Unebenheiten auf, an denen man irgendeinen Halt hätte finden können.
Sie sah Charlie an. Sein Blick zuckte wild hin und her. Er befeuchtete seine Lippen, während er den rechten Turnschuh gegen die Wand stemmte, dann die Arme ausstreckte und gegen die gegenüberliegende Seite stützte. Als er den linken Fuß anhob und neben den rechten setzte, hing er quer im Schacht. Dann schob er abwechselnd die Hände und Füße nach oben in Richtung Licht und Freiheit.
Aber nach zwanzig Zentimetern rutschten seine Hände von der Wand ab, und er stürzte und landete wie eine Katze auf allen vieren. Wortlos versuchte er es gleich noch einmal, jedoch mit dem gleichen Ergebnis.
Er stand auf und lehnte sich an die Wand. Seine Augen waren geschlossen, er legte den Kopf nach hinten und atmete schwer.
»Herr, gib mir die nötige Kraft, ich flehe dich an. Bitte.«
Er versuchte es erneut und kam diesmal etwa einen halben Meter hoch, ehe er abermals abstürzte. Er blieb zusammengekauert und an die Wand gelehnt sitzen, hatte die Knie angezogen und bot einen Anblick vollständiger Niederlage.
»Wenn der Durchmesser dieser Grube nur einen halben Meter kleiner wäre – sogar ein Viertelmeter würde reichen –, dann könnte ich es schaffen. Da bin ich mir ganz sicher.«
»Es ist okay«, versuchte ihn Gia zu trösten. »Sie haben Ihr Bestes gegeben.«
»Es war nicht gut genug.« Er erhob sich und sah sie an. »Wir sitzen in der Falle.«
Gia blickte nach oben und überlegte, ob sie nicht auf Charlies Schultern steigen könnte. Aber selbst dann würde sie den oberen Rand nicht erreichen.
»Vielleicht holt Tara uns heraus, wenn sie mit dem fertig ist, was immer sie tun will oder muss.«
»Wann soll das sein? Und warum sind wir überhaupt hier unten?«
Gia zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Vielleicht wollte sie uns nur aus dem Weg haben.«
»Das ergibt keinen Sinn.«
Gia gab ihm Recht, aber musste ein Geist Sinn
Weitere Kostenlose Bücher