HMJ06 - Das Ritual
nicht?«
Jack seufzte. »Ich denke schon.« Er schüttelte den Kopf. »Das Traurige bei vielen dieser offenen Medien ist, dass sie echtes Talent haben. Sie können Menschen sehr leicht durchschauen, sie haben einen hervorragenden Instinkt für Körpersprache und gewinnen ihre Informationen aus Worten, Gesten und Kleidung. Sie kennen die Menschen. Sie könnten hervorragende Psychologen sein und auf anständigem Weg eine Menge Geld verdienen – es ginge ihnen gut, weil sie etwas Gutes täten. Aber sie bewegen sich lieber am Rand der Legalität und spielen ihre Spielchen.«
»Hmmm«, sagte Gia. »Das klingt nach jemandem, den ich kenne, dessen Name mir aber nicht einfällt. Ich glaube, er beginnt mit J …«
»Sehr witzig. Nur spiel ich keine Spielchen. Ich halte Wort und liefere, was gewünscht wurde. Und wenn ich es nicht schaffe, dann nicht, weil ich es nicht ehrlich versucht habe.« Er lächelte versonnen. »Aber weißt du, ich glaube, dass der gute alte Ifasen heute etwas für mich getan hat. Ich weiß, dass er lediglich eine Allerweltsbotschaft von der ›Anderen Seite‹ heruntergeleiert hat, aber um ganz ehrlich zu sein, er hat zufälligerweise genau das getroffen, was Kate gesagt haben würde.«
»Du meinst, dass du dich auf dein eigenes Leben konzentrieren sollst?«
»Ja.«
»Wie oft habe ich dir gesagt, Kate würde nicht wollen, dass du den Rest deines Lebens mit Trübsalblasen verbringst? Und wann habe ich genau das zum letzten Mal erwähnt? Vor wie vielen Stunden? Vor zwei? Vielleicht drei?«
Er grinste verlegen. »Ja, ich weiß. Aber manchmal muss man es von einem Fremden hören. Wie dem auch sei, ich glaube, es wird Zeit, dass ich mich wieder in den Sattel schwinge. Ich habe gerade zwei Anfragen in meiner Mailbox gefunden. Die werd ich morgen abhören, und wenn eine davon die richtige ist, geht es wieder zurück an die Arbeit.«
»Das ist doch wunderbar.«
Was sage ich da?, dachte Gia.
Sie hasste Jacks Arbeit. Meist war sie gefährlich. Jedes Mal, wenn er engagiert wurde, um eine Situation zu »klären«, ging er das Risiko ein, irgendwelche Schäden davonzutragen. Was noch schlimmer war: Da die Polizei eine mindestens ebenso große Bedrohung für ihn darstellte wie jeder Gauner, mit dem er sich anlegte, konnte er nicht darauf zählen, dass sie ihm half, falls er mal in die Klemme geriet. Wenn Jack seine Arbeit aufnahm, dann tat er das ganz allein.
Wie oft hatte sie ihn angefleht, sich eine weniger gefährliche Tätigkeit zu suchen? Er hatte einen Kompromiss geschlossen und versprochen, nur noch Aufträge anzunehmen, die er in einem überschaubaren zeitlichen Rahmen erledigen konnte, und zwar ohne sein Gesicht zu zeigen oder persönlich involviert zu sein. Gia glaubte, dass er sich alle Mühe gab, dieses Versprechen einzuhalten, doch zu oft liefen die Jobs nicht so wie geplant.
Aber sein Interesse, seine Arbeit wieder aufzunehmen, bedeutete, dass er aus seinem Stimmungstief aufzutauchen bereit war. Das zumindest war gut.
»Vielleicht solltest du mal zu ihm gehen, zu einer privaten Sitzung«, sagte sie. »Vielleicht rät er dir, dir eine sicherere Tätigkeit zu suchen. Und vielleicht hörst du darauf, wenn er es dir sagt. Der Himmel weiß, dass du auf mich niemals hörst.«
»Ich finde zwar, wir sollten uns von Ifasen fern halten, aber nicht aus diesem Grund.«
»Heißt?«
»Ich glaube, er ist in Schwierigkeiten.«
»Du meinst, weil er von einer Bombe gesprochen hat?«
»Deswegen … und wegen anderer Dinge.«
»Welche meinst du?«
»Ein geflicktes Einschussloch in seinem Wohnzimmerfenster zum Beispiel.«
»Bist du sicher?«
Er nickte. »Es hätte schon dort sein können, als er das Haus kaufte, doch er hat das Haus offensichtlich von Grund auf renoviert und hätte sicherlich eine neue Scheibe einsetzen lassen. Das Loch ist demnach ziemlich neu, ergo … jemand macht ihm Schwierigkeiten.«
»Aber wer …?«
»Andere Spiritisten. Die Lady – ich benutze diesen Begriff ziemlich freizügig –, für die ich damals gearbeitet habe, bekam immer einen Wutanfall, wenn sie einen Kunden an ein anderes Medium verlor. Sie nannte sich Madame Ouskaya, doch in Wirklichkeit hieß sie Bertha Cantore. Ich dachte immer, sie hätte zu oft Der Wolfsmensch gesehen und den Namen der Schauspielerin Maria Ouspenskaya geklaut, die die alte Zigeunerin spielte. Aber das wäre viel zu viel der Ehre für sie. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie jemals so lange im Kino sitzen geblieben ist, um sich den
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