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HMJ06 - Das Ritual

HMJ06 - Das Ritual

Titel: HMJ06 - Das Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Paul Wilson
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Aber jetzt existiert es wieder.
    Warum?
    Es weiß nicht, wo es ist. Es tastet sich hinaus, so weit es kann, und nimmt undeutlich andere Existenzen wahr, einige wie es selbst und viele, viele ganz anders. Es kann aber keine von ihnen genau erkennen.
    Die Verwirrung flößt ihm Angst ein, aber ein anderes Gefühl schiebt sich durch die Angst in den Vordergrund: Zorn. Es hat keine Ahnung, aus welcher Quelle der Zorn kommt, aber es klammert sich an diese Gefühlsregung. Die Duldung lässt den Zorn anschwellen. Es nistet sich in diesen Zorn ein und wartet darauf, ein Ziel zu erkennen, um den Zorn darauf loszulassen …
     
     
    Zu nächtlicher Stunde
     
    Lyle erwachte fröstelnd.
    Was war mit der Klimaanlage nicht in Ordnung? Sie hatte kaum die Luft gekühlt, als er ins Bett gegangen war, doch jetzt machte sie fast Gefrierfleisch aus ihm. Er schlug die Augen auf. Sein Schlafzimmer im Erdgeschoss lag zur Straße, daher ließ er nachts immer die Rollladen herunter. Das Licht, das jetzt durch die Ritzen hereindrang, hatte den gelben Schein der Straßenbeleuchtung und nicht das Grau des anbrechenden Tages. Er schaute blinzelnd auf das leuchtende Uhrendisplay: 2:32.
    Er stöhnte leise. Um aufzustehen hatte er nicht genug Energie, daher zog er das Laken enger um sich und versuchte, wieder einzuschlafen. Aber Gedanken an ein verheerendes Feuer und Anschläge auf sein Leben ließen es nicht zu.
    Jemand wollte seinen Tod …
    Das hatte ihn für eine Weile auf den Beinen gehalten. Nach ein paar Bieren, um der Vorstellung die Schärfe zu nehmen, hatte er sich aufs Ohr gehauen, doch der Schlaf hatte sich geziert, während er wach in der Dunkelheit lag und auf ungewöhnliche Geräusche ächtete. Schließlich war er eingedöst.
    Im Raum wurde es noch kälter. Der Frost drang durch das Laken und schloss ihn in seine eisigen Arme. Er schob ein Bein über die Bettkante. Verdammt noch mal, er würde aufstehen müssen und …
    Moment mal. Die Klimaanlage war nicht in Betrieb. Das war unverkennbar. Dieses alte Gemäuer hatte keine Zentralheizung, daher hatte er Fenstergeräte kaufen müssen, und die waren alles andere als leise.
    Lyle erstarrte. Nicht von der Kälte, sondern von einem anderen Gefühl: Er war nicht allein im Raum. Er konnte eine Präsenz irgendwo in der Dunkelheit am Fußende des Bettes spüren.
    »Charlie?«
    Keine Antwort aus der Dunkelheit, kein Rascheln von Kleidern, kein flüsterndes Atmen, aber die aufgerichteten Haare auf seinen Armen und die straff gespannte Haut in seinem Nacken sagten ihm, dass noch jemand anderer hier war. Er wusste, dass es nicht sein Bruder war – Charlie würde sich niemals einen solchen Schabernack erlauben –, aber er musste noch einmal fragen.
    »Charlie, verdammt, bist du das?« Er hörte ein Zittern in seiner Stimme, genau synchron zu seinem hämmernden Herzen.
    Während die Kälte intensiver wurde, rutschte Lyle nach hinten gegen das Kopfbrett. Er schob eine Hand zwischen Matratze und Sprungrahmen und holte ein Tranchiermesser hervor, das er dort vor einiger Zeit deponiert hatte. Während er mit der einen verschwitzten Hand seinen Griff krampfhaft umklammerte, tastete er mit der freien Hand nach der Nachttischlampe und knipste sie an.
    Nichts geschah. Er betätigte den Schalter einmal, zweimal, ein halbes Dutzend Mal. Noch immer kein Licht. Was ging hier vor? Die Lampe hatte vor ein paar Stunden noch einwandfrei funktioniert. War der Strom abgeschaltet worden?
    Nein. Das Uhrendisplay leuchtete noch …
    Dann wurde die Uhr ausgeblendet, nur für einen winzigen Moment. Als ob ein dunkler Schatten sich davor geschoben hätte.
    Lyles Herz hämmerte jetzt wie verrückt. Er spürte, wer immer es war, jemand kam näher, kam von der einen Seite des Bettes auf ihn zu.
    »Ich habe ein Messer, verdammt noch mal!« Seine heisere, trockene Stimme klang brüchig. »Bleib weg!«
    Aber wer immer es war, er bewegte sich unermüdlich vorwärts, bis er über Lyle schwebte, sich zu ihm herabbeugte …
    »Verdammt noch mal!«, brüllte Lyle und stieß das Messer direkt nach vorne.
    Die Klinge drang in etwas ein, aber es war weder Kleiderstoff noch Fleisch. Es fühlte sich eher wie Pulverschnee an und war kalt – Lyle hatte noch nie eine solche Kälte gespürt. Er zog die Hand zurück und wollte das Messer fallen lassen, aber seine tauben Finger reagierten nicht.
    Und dann flammte die Lampe auf. Lyle zuckte zusammen, atmete zischend ein und stieß erneut mit dem Messer zu – um anzugreifen, sich zu

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