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HMJ06 - Das Ritual

HMJ06 - Das Ritual

Titel: HMJ06 - Das Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Paul Wilson
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zu reden. Der Geistliche betrachtete Charlie als ein Mitglied seiner Herde, das in Gefahr war, sein Seelenheil zu verlieren, und er war entschlossen, ihn um jeden Preis davor zu bewahren.
    »Aber was ist mit Lyles Seele, Reverend? Ich will nicht, dass er im ewigen Feuer schmort.«
    »Du hast mir erzählt, du hättest vor ihm Zeugnis abgelegt. Stimmt das?«
    »Ja, oft. Sehr oft sogar. Aber er will einfach nicht hören.«
    Der Reverend nickte. »Deine Worte sind wie Saat, die auf steinigen Boden fällt. Nun, du darfst ihn nicht aufgeben – gib niemals eine Seele verloren, die in Not ist. Aber du darfst auch dein eigenes Seelenheil nicht gefährden. Du musst darauf achten, dass deine eigene Seele gerettet wird, ehe du dich darum bemühst, die Seele deines Bruders zu retten. Und um das zu erreichen, musst du dich von seinen schlechten Taten lossagen.«
    Charlie wandte verärgert den Blick ab. Ganz gleich, ob er Reverend war oder nicht, so abfällig durfte niemand über seinen Bruder reden.
    »Lyle ist nicht schlecht.«
    »Mag sein, dass er nicht so erscheint, doch er vollbringt die Werke des Teufels. Jesus hat uns vor Leuten wie ihm gewarnt: ›Hütet euch vor den falschen Propheten, die im Schafspelz zu euch kommen, in Wirklichkeit aber reißende Wölfe sind.‹«
    Charlie spürte heftigen Zorn in sich auflodern. »Er ist kein Wolf, Reverend!«
    »Mein Sohn, du musst dich der Tatsache stellen, dass er unschuldige Seelen auf einen Irrweg und von Jesus wegführt, und damit tut er das Gleiche wie Satan. Und solange du bei ihm bist und ihm hilfst, bist du ein Komplize und mitschuldig. Zuerst musst du dich seinem Einfluss entziehen und dann musst du seinen bösen Handlungen entgegentreten. Und das tust du am besten, indem du ihn zur Erlösung führst.«
    Charlie unterdrückte ein Lachen. Lyle führen? Lyle ließ sich von niemandem irgendwohin führen.
    »Das Letzte wird nicht ganz einfach sein.«
    »Soll ich mal mit ihm sprechen? Vielleicht kann ich …«
    »Nein!« Das Messer zuckte – Charlie hätte sich beinahe geschnitten. »Ich meine, es ist besser, wenn er nicht erfährt, dass ich über ihn geredet habe. Er mag es nicht, wenn sich Fremde in seine Angelegenheiten einmischen, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    Bisher hatte Charlie es geschafft, Lyles Adresse vor dem Reverend geheim zu halten. Er wollte nicht, dass irgendwer in der Kirche ihn mit Ifasen, dem Medium, in Verbindung brachte. Deshalb hatte er sich auch einer Kirchengemeinde in Brooklyn angeschlossen, statt sich eine in Queens zu suchen. Die wöchentliche Fahrt mit der U-Bahn war zwar sehr lang, aber die Mühe lohnte sich.
    »Dann bist du auf dich allein gestellt, mein Sohn. Ich werde für dich beten.«
    »Vielen Dank, Reverend. Ich kann diese Gebete gut gebrauchen, denn mich von ihm zu trennen, wird sehr hart sein. Er ist schließlich von meinem Blut, mein einziger Bruder. Ich breche damit praktisch die Verbindung zu dem ab, was von meiner Familie noch übrig ist.«
    Was Charlie niemals erklären konnte, weil er sich nicht sicher war, ob Reverend Sparks es verstehen würde, war, dass er und Lyle eigentlich ein Team waren. Und das waren sie, seit Momma gestorben war. Lyle hatte die Behörden ausgetrickst, damit sie nicht voneinander getrennt wurden, hatte es dann geschafft, ihnen auf der Liste derjenigen einen Platz zu ergattern, denen finanziell unter die Arme gegriffen wurde, so dass sie nicht verhungern mussten. Seitdem führten sie die ganze Welt mit ihrer Masche ständig hinters Licht. Nachdem Lyle keine Mühe gescheut hatte, dafür zu sorgen, dass sie zusammenblieben, wie sollte Charlie ihm da in die Augen blicken und ihm erklären, er wolle sich von ihm trennen?
    Und auch noch etwas anderes konnte Charlie dem Reverend nicht auftischen, etwas Düsteres, das ihn ebenfalls mit großer Schuld belastete: Ihm gefiel die Masche, die sie sich ausgedacht hatten. Sie machte ihm sogar großen Spaß. Er liebte es, sich neue Tricks auszudenken, um ihre Opfer zu verblüffen. Wenn eine Sitzung genau nach Plan verlief, wenn alle vorbereiteten Tricks und Täuschungen einwandfrei funktionierten, dann war es einfach oberaffengeil. Lyle hatte totale Macht über die Leute, sie waren Wachs in seinen Händen, und Charlie konnte sich sagen, dass er eine wesentliche Rolle dabei gespielt hatte, sie in diesen Zustand zu versetzen. Bei solchen Gelegenheiten war er regelrecht high, sogar besser als high. Ja, er fühlte sich dabei noch um einiges besser als damals, in seiner

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