HMJ06 - Das Ritual
verraten, was ich bei dieser Angelegenheit zu tun habe?«
»Nun ja, ich denke, mit einem solchen Problem kann man sich nicht gerade an die Polizei wenden. Und ich bin zu alt, um die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Daher hoffte ich, dass Sie auf ihn aufpassen würden.«
Das hatte Jack befürchtet. Er sollte den Schutzengel für einen Mondsüchtigen spielen. Genauer, einen Neumondsüchtigen.
»Ich glaube, in diesem Punkt muss ich Sie enttäuschen, Ed. Ich bin nicht im Leibwächterbusiness tätig.«
»Warten Sie. Es ist kein richtiger Leibwächterjob. Sie sollen ihn nicht vor jemand anderem beschützen. Sie beschützen ihn nur vor sich selbst. Und auch nur für drei Tage, Mann. Drei Tage!«
Jack schüttelte den Kopf. »Das genau ist das Problem. Ich kann unmöglich drei Tage damit vergeuden, auf einen Verrückten aufzupassen.«
»Es sind doch keine ganzen Tage. Nur die Nächte. Nachdem er in seinem Laden Feierabend gemacht hat.«
»Warum brauchen Sie ausgerechnet mich? Warum engagieren Sie nicht einen professionellen Bodyguard? Ich kann Ihnen gern ein paar Telefonnummern geben.«
»O nein, unmöglich«, wehrte Edward ab und schüttelte heftig den Kopf. »Es ist von größter Wichtigkeit, dass er nichts davon weiß.«
»Jetzt mal langsam und zum besseren Verständnis: Sie wollen, dass ich auf Ihren Bruder aufpasse, ohne dass er etwas davon weiß?«
»Genau. Und das Schöne daran ist, dass Sie vielleicht überhaupt nichts tun müssen. Durchaus möglich, dass er gar nicht verrückt spielt. Aber falls es doch passiert, wären Sie in der Nähe, um ihn zu bändigen und vielleicht davon abzuhalten, sich selbst oder jemand anderem irgendein Leid zuzufügen.«
Jack schüttelte ratlos den Kopf. Das war doch völlig verrückt.
»Bitte!« Edwards Stimme bekam einen flehenden Unterton. Er griff in seine Gesäßtasche und holte einen dicken Briefumschlag hervor. Mit zitternden Händen legte er ihn auf den Tisch und schob ihn zu Jack hinüber. »Ich habe jeden Cent zusammengekratzt, den ich erübrigen konnte. Bitte, nehmen Sie das Geld und …«
»Es ist keine Frage des Geldes«, unterbrach ihn Jack. »Es ist eine Zeitfrage. Ich kann mir unmöglich die Nächte um die Ohren hauen und diesen Knaben im Auge behalten.«
»Das brauchen Sie auch nicht! Beobachten Sie ihn nur von dem Moment an, wenn er seinen Laden schließt, bis, sagen wir, Mitternacht. Also nur ein paar Stunden, und das über drei Tage, Mann. Das ist doch nicht zu viel verlangt.«
Edwards tiefe Sorge – ja, fast Angst – um seinen Bruder, ging Jack förmlich unter die Haut. Drei Nächte … Keine Ewigkeit. Der einzige andere Job, den er im Augenblick hatte, war die Sache mit den Kenton-Brüdern, und da hatte er wohl eine Atempause. Nach der vergangenen Nacht glaubte er nicht, dass er dort ständig Wache halten musste.
»Na schön«, meinte Jack schließlich. »Für drei Nächte kann ich Ihnen, glaube ich, zur Verfügung stehen.«
Edward ergriff über den Tisch hinweg Jacks Hände. »Gott segne Sie, Mann. Das ist wunderbar, einfach wunderbar!«
»Ich sagte, dass ich Ihnen zur Verfügung stehe, aber ich kann Ihnen nichts garantieren.«
»Ich weiß, dass Sie Ihr Bestes tun werden und mich nicht enttäuschen.«
Jack schob den Briefumschlag zu Edward zurück. »Geben Sie mir die Hälfte davon. Ich behalte ihn drei Nächte lang im Auge. Wenn nichts passiert – das heißt, wenn ich nicht einschreiten und ihn von irgendetwas abhalten muss –, sind wir quitt. Falls es jedoch heftig werden sollte, egal in welcher Form, dann schulden Sie mir die andere Hälfte.«
»Das nenne ich fair«, sagte Edward, während er den Umschlag öffnete und das Geld zählte. »Sogar mehr als fair.«
»Und was mein Einschreiten betrifft, es könnte darauf hinauslaufen, dass ich etwas gründlicher hinlangen muss, falls er sich nicht zur Vernunft bringen lassen will.«
»Was verstehen Sie darunter? Was haben Sie mit ihm vor?«
»Ihn außer Gefecht setzen. Dafür sorgen, dass er so bald nicht mehr auf die Beine kommt.«
Edward seufzte. »Tun Sie, was Sie tun müssen. Ich verlasse mich auf Ihr Urteilsvermögen.«
»Okay«, sagte Jack und beugte sich vor. »Nachdem wir das geklärt haben, brauche ich Informationen. Wo hält er sich auf und wie sieht er aus?«
Edward deutete mit einem Kopfnicken auf den Umschlag auf dem Tisch. »Sie finden alles Notwendige dort drin.«
Jack öffnete den Umschlag und holte ein Blatt Papier sowie ein Foto von einem Mann mit Glatze heraus,
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