HMJ06 - Das Ritual
dass es sofort wieder in meinen Körper zurückfließt. Dieser Vorgang kann bei einem Medium schwere Schäden verursachen. Es ist schon vorgekommen, dass Medien von zurückströmendem Ektoplasma, das von unvorsichtigen Klienten berührt worden war, getötet wurden. Also denken Sie daran: Sie dürfen es ausgiebig betrachten, aber berühren Sie es niemals.«
Jack blendete die Frau aus seinem Bewusstsein aus. Was er hier hörte, war der übliche Sermon. Nur die Namen wechselten von Medium zu Medium. Er wartete darauf, dass das Licht endlich ausging und die Show begann. Dann würde er aktiv werden.
Schließlich legten die vier Teilnehmerinnen und das Medium die Hände flach auf die Tischplatte. Das Licht der klaren Glühbirnen des tief herabhängenden Leuchters verblasste, aber die wenigen Glühbirnen, die einen matten roten Schein erzeugten, blieben eingeschaltet. Der restliche Raum versank in tiefer Dunkelheit, während der Tisch und die, die an ihm saßen, in ein rotes Leuchten getaucht wurden.
Madame Pomerol stimmte ein leises eintöniges Summen an, dann ließ sie den Kopf hin und her baumeln. Kurz darauf begann der Tisch zu kippen, begleitet von Kichern und Lauten der Verwunderung von Seiten der Kundinnen. Ihre Stühle blieben jedoch unverrückbar auf dem Fußboden stehen. Charlie hatte dafür gesorgt, dass die Organisation seines Bruders im Gegensatz zu Madames sozusagen auf soliden Beinen stand.
Und dann gab die Lady einen langen, leisen Seufzer von sich, der durch den Raum hallte. Jack wurde in diesem Moment klar, dass sie ein drahtloses Mikrofon bei sich hatte – Jack hätte gerne darauf gewettet, dass es in diesem Turbanaufbau steckte – und dass ihr Mann es soeben eingeschaltet hatte. Der Halleffekt war bemerkenswert. Zweifellos hatte sie genauso wie Jack auch einen winzigen Hörer im Ohr, damit Carl sie leiten konnte, falls eine der Kundinnen eine heikle Frage stellen sollte.
Ein weiterer Seufzer, dann aber geschah etwas. Jack hörte, wie eine der Kundinnen zischend einatmete, als über Madame Pomerols Kopf ein fahles Leuchten erschien.
Hallo, Mr. Ektoplasma, dachte Jack.
Das Leuchten vergrößerte sich kreisförmig und umrahmte ihren Kopf schließlich wie ein Heiligenschein. Für einen Augenblick verharrte er dort, dann begann er nach oben zu steigen, schien ihrem Kopf zu entströmen und eine geisterhafte Wolke zu bilden, zwei, drei Meter hoch in der Luft. Am Ende löste sich die leuchtende Wolke von dem Medium und waberte über ihr hin und her.
»Xultulan, erhöre meinen Ruf«, sang Madame Pomerol, wobei ihre Stimme wieder mit einem Halleffekt versehen war. »Schenke uns dein jenseitiges Wissen und gewähre uns Zugang zu den Seelen der Verstorbenen. Bei mir sind vier, die Kontakt mit ihren Lieben wünschen, die von ihnen gegangen sind …«
Ja-ja-ja, dachte Jack und griff in sein Oberhemd. Es hätte keinen Sinn, noch länger zu warten. Außerdem ging ihr falscher französischer Akzent ihm zunehmend auf die Nerven.
Er fand die lippenstiftgroße Fernsteuerung in seinem Bauchpolster und suchte den Schalter. Dann bemühte er sich um einen Gesichtsausdruck des Erschreckens und betätigte mit dem Daumen den Einschaltknopf.
Die Spotscheinwerfer in der Decke erwachten zu gleißendem Leben und enthüllten eine schockierende Szenerie.
Die vier Kundinnen und Madame Pomerol befanden sich auf ihren Plätzen, aber hinter dem Medium stand ein von Kopf bis Fuß in Schwarz gehüllter Mann – sein Rollkragenpullover und seine Hose ähnelten auffallend der Kleidung Carl Fosters, allerdings hatte er dem noch schwarze Handschuhe und eine schwarze Skimaske mit schmalen Augenschlitzen hinzugefügt. In den Händen hielt er zwei lange Stäbe, zwischen denen ein in der Luft flatterndes Stück Chiffon befestigt war. Im plötzlich aufgeflammten Licht sah man ihn die Stäbe mit dem Tuch über dem Kopf seiner Frau hin und her schwingen. Ein Schrei von einer der Frauen – sie hatte offensichtlich geglaubt, ein mordlustiger Terrorist sei soeben in den Raum eingedrungen – ließ den Mann mitten in der Bewegung erstarren.
Jack fing einen kurzen wütenden Blick von Madame Pomerol auf und war froh, dass er sein Mienenspiel rechtzeitig darauf vorbereitet hatte.
Plötzlich lachte sie. »Sie sollten mal Ihre Gesichter sehen!« Ein erneutes Lachen. »Carl, unsere kleine Demonstration hat sie völlig überrumpelt!« Sie klatschte begeistert in die Hände. »Magnifique! Magnifique!«
»Ich … ich verstehe das nicht«, stotterte
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