Hochgefickt
auf den gleichen Stand.
Den Einstieg in das Thema hatte Günther bereits unmittelbar nach unserer Ankunft unglaublich subtil geschafft: Er baute sich triumphierend grinsend in der Küche vor Renate auf, winkelte den Arm an, knickte sein Handgelenk ab und zeigte dabei mit dem abgespreizten kleinen Finger auf meine Mutter, um dann in den tuckigsten Tonfall zu verfallen, den ich jemals gehört hatte (das will wirklich was heißen, ich wohnte immerhin seit über einem Jahr in Köln und arbeitete beim Fernsehen …!) und ihr zu sagen: »Hömma, Schätzchen, du kleines Zuckerschnittchen bist heute ja so was von fällig – der Vati hat nämlich ’ne Wette gewonnen!«
Es war herrlich, wieder zu Hause zu sein, und noch viel herrlicher war es, die ganzen unglaublichen Geschichten der letzten zwölf Monate endlich jemandem offen erzählen zu können, in der beruhigenden Gewissheit, dass sich daraus kein Schaden ergeben würde. Abgesehen davon, dass mein Vater beschloss, mir aufgrund meiner finanziellen Situation nicht mehr die Miete für meine Studentenbude zu zahlen – aber das konnte ich ebenso verknusen wie seinen Plan, nach Absprache mit mir einen Teil meines verdienten Geldes in Aktien zu investieren. Die Börse war nämlich sein neuestes Steckenpferd.
Nachdem meine Eltern mir hoch und heilig versprochen hatten, sich Ralf gegenüber nichts anmerken zu lassen und mich auch nicht durch wahnsinnig subtile Scherze in die Bredouille zu bringen, rief ich Ralf am Samstagmorgen an, wünschte viel Glück für das Spiel am Nachmittag und schlug ihm vor, Sonntag früh doch noch in die Eifel zu kommen. Bis dahin hatte ich auch alle gerahmten Bilder mit klar erkennbaren Jahreszahlen versteckt, die Ralf mein wahres Alter verraten würden: »Mein erster Schultag 1980«, »Abiturjahrgang 1993«, sowie »Jung-Schützenkönigin 1993 Jaquecline Grosse (19)«.
Als der Traumschwiegersohn dann Sonntag um zehn Uhr mit warmen Brötchen und der BamS unterm Arm bei uns klingelte, hatten Renate, Günther und ich den Basar, das anschließende Essen und vor allem das späte Zubettgehen noch in den Knochen und wollten gerade erst darum schnicken, wer von uns nun rausmusste, Backwerk und Presse besorgen. Dementsprechend begeistert wurde Ralf trotz der frühen Ankunftszeit begrüßt, und auch ansonsten tat er alles, um meine Eltern für sich zu gewinnen. Was ihm auch gelang: Mein Frühstücksei war noch nicht mal kalt, da duzten Renate und er sich schon.
Während des sehr unterhaltsamen Smalltalks am Frühstückstisch über sein Spiel gegen Mönchengladbach am Vortag (3:3) gab Günther sich erst mal ein bisschen knurrig, aber genau so hatte er es am Vorabend auch angekündigt: »Der Glaubwürdigkeit wegen! Du hast ihm doch erzählt, wie schwer es seine Vorgänger bei mir hatten, da riecht der den Braten doch, wenn ich zu nett zu dem bin!«
Allerdings hatte mein Vater da die Rechnung ohne Ralf gemacht. Günthers – gelogene – Aussage: »Herr Szibuda, es tut mir leid, aber ich weiß gar nicht, worüber wir beide uns unterhalten sollen, ich interessiere mich nämlich überhaupt nicht für Fußball!«, führte bei Ralf zu strahlendem Lächeln: »Herr Große, Sie ahnen ja gar nicht, wie froh mich das macht! Sonst wollen sich alle immer nur über Fußball mit mir unterhalten, dabei interessieren mich andere Dinge viel mehr!«
»Ach ja, was denn? Mein Hobby ist ja die Jägerei, aber das ist sicher auch nichts für Sie als Stadtkind …«, präsentierte Günther sich weiter ruppig.
»Da haben Sie leider recht. Ich interessiere mich eher für wirtschaftliche Zusammenhänge, das ist mein Hobby. Unternehmenspolitik, Erfolgsprognosen, Börsennotierungen, Aktien. Die Beschäftigung mit solchen Dingen macht mir Spaß, aber das hört sich für die meisten Leute leider immer nur nach langweiligen Zahlenkolonnen an.«
Ab da hatte er auch meinen Vater im Sack, der vor lauter Begeisterung total aus seiner Rolle als distanzierter Grantler fiel: »Aber überhaupt nicht! Verfolgen Sie auch die Entwicklung im Silicon Valley?«
»Natürlich! Da wird es noch richtig abgehen die nächsten Jahre.«
Die beiden Herren hatten sich offensichtlich gefunden und verschwanden nach dem letzten Brötchenbissen schleunigst vom Tisch in Richtung Günthers Arbeitszimmer, um sich dort zwischen diversen Magazinen in Ruhe zum Thema Börse auszutauschen. Renate und ich fingen gemäß unserem Ritual an, Plätzchen zu backen, dabei gaben wir uns mit Ruhe und Muße einem unserer
Weitere Kostenlose Bücher