Hochgefickt
liebsten Hobbys hin: Klatsch und Tratsch. Immerhin hatte ich unterschiedlichste feine und fiese Details aus erster Hand zu bieten, die sie zwar so nicht eins zu eins im Salon kolportieren konnte, die ihr aber den wohligen Schauer exklusiven Wissens bescherten.
Im Gegenzug bekam ich endlich die Geschichte vom Bürgermeister, seiner Frau und »seinem« Sohn präsentiert sowie ein paar wirklich interessante Neuigkeiten aus dem Ort. Der wohlhabende Hoteliersohn Markus Ballensiefen, mein Schützenkönig, war im Oktober ’94 Vater geworden, weil er im ausgekosteten Rausch der sich ihm seit dem Schützenfest bietenden sexuellen Möglichkeiten auf Sandra Hernen und die uralte »Ich-nehm-die-Pille!«-Tour reingefallen war.
In den Augen meiner Mutter war daran niemand anderes schuld als Sebi, weil »et Hernens Sandra« just in dem Moment, als der große Psychisch -Eklat in Tom Koslys Show passierte, bei Renate im Salon zum Haarefärben vor der Glotze saß und rumjammerte, sie hätte keine Lust auf eine Ausbildung und wolle am liebsten einfach reich heiraten. Renate hielt sie für ziemlich beschränkt – »aber als dein Quasimodo da im TV erzählt hat, wie der Sänger zu seinem Kind gekommen ist, konnte ich richtig hören, wie es ›klick!‹ machte in ihrem Kopf! Da ist ja auch sonst nicht viel drin, wenn da in der Rübe ein Groschen fällt, gibt das halt Echo!«
Statt Ausbildung mit dem ortsansässigen Hoteliersohn ein Kind zu machen, ist die Eifeler Variante des Hochschlafens. Darüber hinaus war das für ein »normales« Mädchen der Gemeinde weitaus anerkannter als eine qualifizierte Ausbildung oder gar ein Studium. Denn so etwas überlässt man besser den Männern, wenn man a) in der Eifel bleiben und b) dort nicht als alte Jungfer enden will. Die einzige Berufsausbildung, die der Attraktivität als potentielle Ehefrau damals keinen signifikanten Abbruch tat, war eine Lehre zur Hauswirtschafterin. Gut für mich, dass schon meine Eltern nicht als normal galten und mein Wunsch, Abitur zu machen, ihrer Exzentrik sehr gelegen kam.
Während Renate und ich gerade das letzte Blech Kekse verzierten, kamen Ralf und Günther aus ihrer Klausur und hingen den Adventskranz auf (der dank Ralfs Hilfe so toll geschmückt war wie nie zuvor). Danach tauschten Ralf und ich die Plätze: Ich ging wie jedes Jahr mit meinem Vater in den Keller, um die Skier zu wachsen und zu schleifen, während meine Mutter durch Ralf erstmals Unterstützung beim Zubereiten des Wildschweinbratens hatte.
Der schmausend, spielend und plaudernd verbrachte Rest des Tages rundete diesen ersten Advent im Hause Große hervorragend ab. Den Jackpot knackte Ralf, als er nach dem traditionellen Trivial Pursuit seiner Neugier freien Lauf ließ und nach dem Brief in Sütterlinschrift fragte, der da gerahmt am Kamin hing. Auch ich selbst hatte die Geschichte der alten Frau Stahlke bestimmt seit zehn Jahren nicht gehört, aber sie hatte nichts von ihrer Magie verloren.
Als Ralf und ich am Montag Vormittag zusammen in Richtung Rheinland und Ruhrpott aufbrachen – mein Auto blieb in der Eifel, zur Inspektion in Herrn Schorns Autowerkstatt –, hatten wir ausreichend Gelegenheit, die Eindrücke des Wochenendes sacken zu lassen und die restlichen gemeinsamen Auftritte des Jahres zu planen.
»Die beiden sind ja echt der Oberhammer!«, ließ Ralf seiner Begeisterung über meine Eltern freien Lauf und präsentierte mir reichlich Details aus seinen Einzelgesprächen mit beiden, dargeboten im »Und-dann-hab-ich-gesagt–und-dann-hat-sie/er-gesagt«-Modus, den man sonst nur von verknallten Teenagern kennt. Auf der einen Seite freute es mich natürlich, dass alle so begeistert voneinander waren; andererseits war ich schließlich ein Einzelkind, und aufkeimende Eifersucht ließ daher nicht lange auf sich warten. Abgesehen davon fand ich es irgendwie unfair, dass er jetzt sogar wichtige Anekdoten unserer Familienhistorie kannte und fast schon adoptiert war, während ich zwar seine Schwester kennen und schätzen lernen durfte, er sich aber mir gegenüber bezüglich seiner Herzensangelegenheiten weiterhin in Geheimniskrämerei übte.
Gerade nach diesem Wochenende, wo alle Großes sein »Ich bin hetero«-Spielchen brav mitgemacht hatten, fand ich, dass ich ein bisschen Wahr- und Offenheit verdient hätte, zumal ich – wenn die Dinge so lagen, wie ich dachte – auch noch was Feines in petto hatte für ihn und seinen Liebsten.
»Ralf, darf ich dich mal was fragen?«,
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