Hochgefickt
am letzten Spieltag der Bundesligasaison 94/95 in einem Herzschlagfinale den BVB in letzter Minute per Kopfballtor zum deutschen Meister machte. Die Borussen hatten nach 32 Jahren erstmals wieder die deutsche Meisterschaft geholt, die »Schale für’n Pott«, und alle, wirklich alle flippten komplett aus. Die Feier zur Meisterschaft war die größte in der Geschichte der Bundesliga; als die Mannschaft, verkatert und in zerknitterten Anzügen, am Tag nach dem Sieg am Dortmunder Rathaus die Schale hoch hielt, jubelten dem Team und dem Trainer, der alles richtig gemacht hatte, über 500 000 Menschen zu.
Auch für Ralf war das alles emotional kaum noch zu packen: Ziemlich genau vor einem Jahr hatten Rezas Kollegen noch Zweifel geäußert, ob Ralfs Knie überhaupt eine Rückkehr in den Profifußball zulassen würde; die Grasshoppers und der Bundestrainer hatten ihn abserviert; und trotz aller Medienmanipulation hatte es natürlich auch böse Stimmen gegeben, die Ralfs Vertragsabschluss in Dortmund als »ein aus sentimentalen Gründen erteiltes Gnadenbrot für ein ewiges Talent ohne Aussicht auf echten Erfolg« kommentiert hatten. Und jetzt war ausgerechnet er derjenige, der per Kopfballtor – weil er nämlich wie ein Wahnsinniger Kopfbälle trainiert hatte, nachdem er einsehen musste, dass die Schusskraft seines rechten Beins trotz Psychocoaching und sonstigem Trara tatsächlich nie mehr so werden würde, wie sie mal war – die Meisterschaft gesichert hatte.
Das bedeutete für Ralf neben aller sportlichen Genugtuung vor allem, dass sein Plan aufgegangen war: Er konnte sein Image vom »letzten Idealisten im Profifußball« mit diesem Erfolg massiv vergolden und die Kasse jetzt mit der Kontinuität eines Tinnitus richtig klingeln lassen.
Innerhalb weniger Tage hatte er bereits vier hochdotierte Verträge in der Tasche: für Sportbekleidung, Nuss-Nougat-Creme, die Kampagne »Keine Macht den Drogen!« und einen Selbsthilferatgeber über Willensstärke und Motivationstechniken. Dass Ralf überhaupt die Idee hatte, einem Verlag ein Konzept und seinen Namen für ein solches Buch anzubieten, beruhte übrigens auf einer von Günthers Ideen, die er Ralf an Ostern ins Ohr flüsterte. Als mittlerweile wirklich erfolgreicher Erfolgs- und Motivationstrainer hatte mein Vater ein sicheres Näschen für das enorme Verkaufspotential einer derartigen »Ich-beiß-mich-gegen-alle-Widerstände-zum-Erfolg-durch!«-Geschichte.
Unsicher war Ralf sich nur bei Vertrag Nummer fünf, einer Option, die ich schon vor dem Gewinn der Meisterschale angeschleppt hatte: Auf der senderinternen Feier zur dreißigsten Sendung von » Echte Sünde « hatte sich mal wieder der Sender-Sultan an mich rangewalzt, diesmal allerdings in Begleitung eines extrem unscheinbaren Anzugträgers um die fünfzig herum. Dem Verhalten nach zu urteilen, das der Chef an den Tag legte, musste das ein Werbekunde sein, der nahezu den gesamten Sendebetrieb finanzierte, denn bevor der Chef den gescheitelten Schluck Wasser bei mir in der Sitzecke zurückließ, raunte er mir tatsächlich noch auf eine Art und Weise zu, mit der er auch erfolgreich ein Großbordell hätte führen können: »Und fei schön nett sein, gell, sonst hab i kei’ Geld mehr für dei’ Sendung, verstehst mi?«
Dass er dabei meine Wange onkelig tätschelte, machte die Sache nicht weniger schmierig, und allmählich begann ich zu verstehen, was einer meiner prominenten Horizontalgespielen der letzten Wochen gemeint haben könnte, als er gesagt hatte: »Wir sind doch sowieso alle nur kleine Shownutten!«
Während ich überlegte, wie ich mich jetzt verhalten sollte, um weder meine Sendung, noch meinen Selbstrespekt zu verlieren, begann der Mensch im Anzug neben mir sichtlich verlegen das Gespräch: »Entschuldigen Sie den Überfall, aber ich wollte Sie unbedingt kennenlernen, ich hoffe, Sie sehen mir das nach! Ich bin ein sehr großer Fan von Ihnen. Wissen Sie, welche zwei Dinge mir an Ihnen am besten gefallen?«
Ich hatte da eine spontane Idee, biss mir aber auf die Zunge und gab statt einer blöden Antwort das nette Blondchen. Erst mal wollte ich entspannt abwarten, was hier auf mich zukam, denn der Typ wirkte im Gegensatz zum Chef angenehmerweise viel zu verklemmt für eindeutig sexuelle Absichten – das Terrain empfand ich somit als relativ sicher. Ich legte den Kopf schief, kringelte eine Haarsträhne zwischen meinen Fingern und setzte mein neugieriges Gesicht auf: »Welche denn …?«
Auf einmal
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