Hochsommermord: Kriminalroman (German Edition)
ihrem Herz erschien ein Kästchen und zeigte eine Temperatur von 36,4 Grad an. Es war, als könne er in das Innere seiner Kollegin blicken.
Die Maschine neigte sich leicht nach vorne. Es war lange her, seit er das letzte Mal geflogen war. Fasziniert blickte er auf den Landstrich und die angrenzenden Städte. Die vielen Straßen der Region und die unzähligen Fahrzeuge, die sich unaufhörlich in alle Richtungen hin und her bewegten, glichen einem Modell zur Veranschaulichung des Blutkreislaufs. In der Summe wirkte die Region wie ein gewaltiger, pulsierender Organismus.
Das Zittern im Innenraum wurde stärker, als sich die Maschine im Schwebeflug über der Süßener Grundschule einpendelte.
»Da wären wir«, sagte der Co-Pilot. Er drehte sich zu Kepplinger um.
»Womit fangen wir an?«
Moritz blickte nach unten und beobachtete, wie sich eine größere Gruppe von Kindern auf den Schulhof drängte und nach oben starrte.
»Könnten wir zuerst ein paar Übersichtsaufnahmen aus unterschiedlichen Höhen machen?«
»Kein Problem.«
Die Maschine schoss wie ein Aufzug in die Höhe. Nach ungefähr einer Minute erreichten sie eine Position, aus der die Schule und die angrenzenden Wohngebiete nur noch schemenhaft zu erkennen waren. Der Anblick erinnerte Kepplinger an die Darstellung von Städten und Landschaften in Google Earth.
»Achtzig Bilder«, rief der Techniker und deutete auf den schwenkbaren Sucher der Kamera. »Reicht das?«
»Auf jeden Fall. Als Nächstes sollten wir die angrenzenden Waldgebiete abfliegen.«
Als Antwort bewegte der Pilot den Steuerknüppel in Richtung der Armaturen, worauf die Maschine nach vorne kippte und in einer langgezogenen Linkskurve auf einen Waldrand zuraste. Prompt reagierte Kepplingers Magen. Er spreizte die Beine, beugte sich vornüber und atmete tief durch. Früher hatte er solche Spielchen geliebt.
»Keine Angst«, rief ihm der Techniker lächelnd zu. »Er beherrscht die Maschine wie kein Zweiter.«
Nachdem sich der Helikopter wieder in der Waagerechten über einem Mischwald eingependelt hatte, ging es ihm gleich besser. Er griff nach dem Mobiltelefon und beschrieb Salvatore das Waldstück, in dem die Suche beginnen würde. Lea lenkte den Geländewagen in Sichtweite des Helikopters auf einen Feldweg. Für den Fall, dass die Besatzung etwas entdecken würde, sollten die beiden den Fund an Ort und Stelle in Augenschein nehmen. Kepplinger gab dem Piloten ein Zeichen. Die Suche konnte beginnen.
Gitternetzartig überflog die Maschine die Waldgebiete, die sich von Süßen bis zu den Steilabfällen der Schwäbischen Alb im Südwesten der Region erstreckten. Der Pilot steuerte den Hubschrauber knapp über den Baumwipfeln. Der Boden unter ihnen war mit bloßem Auge zu erkennen. Der Techniker verfolgte die Suche auf dem Monitor der Kamera. Immer wieder meldete er Wildtiere, die im Unterholz nach Nahrung suchten oder aufgeschreckt davonrannten. Kepplinger sah Spaziergänger und Forstarbeiter, die im Wald zugange waren. Nach ungefähr zwanzig Minuten zeichnete die Kamera plötzlich eine menschli che Silhouette im Inneren einer einsam gelegenen Hütte auf den Monitor. Moritz rückte unwillkürlich mit geballten Fäusten näher an das Display heran. Die Person verharrte reglos auf der Stelle. Es war nicht zu erkennen, ob es sich um einen Erwachsenen oder ein Kind handelte. Der Körpertemperatur nach zu urteilen war sie am Leben. Kepplinger informierte Salvatore und lotste den Wagen zu der Stelle. Gespannt verfolgten die Insassen das Geschehen am Boden. Nach zwei endlos scheinenden Minuten meldete sich Lea über Funk.
»Moritz, da liegt ein Jäger in der Hütte. Er ist sturzbetrunken. Lallt irgendwas von Luchsen und dass er seit drei Uhr auf der Pirsch liegen würde. Was sollen wir machen?«
»Lasst ihn weiterschlafen«, sagte Kepplinger enttäuscht.
Nach einer weiteren Stunde brachen sie den Einsatz ab. Während die Maschine unweit der Schule landete, beobachtete Kepplinger die endlose Kette der Bereitschaftspolizisten, die sich Schritt für Schritt durch das Gelände arbeiteten. Er bedankte sich bei der Besatzung für die Unterstützung. Der Pilot zuckte mit den Schultern.
»Tut mir leid.«
Nachdem Kepplinger eine CD mit den Luftaufnahmen erhalten hatte, flog die Maschine in Richtung des Stuttgarter Flughafens davon. Er sah ihr hinterher, bis er sie aus den Augen verlor. Erneut kam ihm ein Gespräch mit seiner Ärztin in den Sinn.
»Ich erinnere mich genau an das Geräusch der
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