Hochsommermord: Kriminalroman (German Edition)
Einstand bei der Göppinger Kripo idealerweise verlaufen sollte, aber dass er von der ersten Stunde an für einen so großen und schwierigen Fall verantwortlich sein würde, wäre ihm nicht im Traum eingefallen. Er hielt einen Augenblick in seiner Arbeit inne und dachte an das Kind.
»Woran denkst du?«, unterbrach Lea seine Gedanken.
»Ich wüsste zu gerne, ob sie noch lebt«, sagte er leise. »Ob wir eine reelle Chance haben, sie lebend zu finden.«
»Zweifelst du daran?«
»Es sind viereinhalb Tage vergangen, seitdem sie verschwunden ist.«
Lea starrte kopfschüttelnd auf die Papierstapel.
»Bringt uns das hier wirklich weiter? Sollten wir nicht alle da draußen sein und nach ihr suchen?«
Kepplinger zuckte mit den Schultern.
»Im ganzen Land wird nach ihr gefahndet. Unsere Aufgabe besteht darin, sie auf eine andere Art und Weise ausfindig zu machen. Nach Hinweisen zu suchen, die sie zurückgelassen hat.«
MITTWOCH
24. Juli 2013
K urz nach Mitternacht sprang Lea plötzlich von ihrem Stuhl auf.
»Moritz … Da!«, rief sie und deutete auf einen der Ausdrucke. Kepplinger ging eilig um den Tisch.
»Was ist denn?«
»Sieh dir das an!« Ihre Stimme bebte.
Er überflog das Schriftstück. Auf der ersten Seite konnte er nichts Ungewöhnliches feststellen. Ein gewisser Lars Kaufmann war dreimal von derselben Rufnummer angewählt worden, hatte die Anrufe aber nicht entgegengenommen, doch dann eine Minute später zurückgerufen. Das Gespräch hatte nur fünfzehn Sekunden gedauert. Moritz’ Interesse wuchs, als er den Fahndungseintrag auf der Rückseite des Dokuments las. Kaufmann war wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen vorbestraft. Mehrfach hatte er versucht, Kinder in seinen VW -Bus zu locken. Vor einem guten Jahr hatte er einer Siebenjährigen versprochen, sie nach Hause zu fahren. Das Mädchen war zwei Stunden in seiner Gewalt gewesen. Er hatte ihr Pornoheftchen gezeigt und sie unsittlich berührt. Der Polizei war er in die Fänge geraten, als er im Internet Filme von nackten Kindern angeboten hatte, gedreht in Freibädern und an Badeseen.
Auf dem Ausdruck befand sich ein Foto des Fahrzeugs mit Stuttgarter Kennzeichen. Mit Ausnahme der Frontpartie waren sämtliche Scheiben mit schwarzer Folie beklebt. Kepplinger durchfuhr es eiskalt bei der Vorstellung, dass Manuela in diesen Bus gestiegen sein könnte.
»Das ist er!«, sagte Lea, nachdem er den Bericht zu Ende gelesen hatte.
Moritz nickte stillschweigend. Ihm graute bei dem Gedanken an ein Sexualverbrechen.
»Am besten überprüfen wir zuerst, warum er in der Gegend war und mit wem er telefoniert hat«, sagte er nachdenklich.
Kepplinger informierte sofort Brandstätter, der bereits im Bett lag und erst verstand, worum es ging, nachdem er es ihm ein zweites Mal erklärte.
Danach rief er beim Bereitschaftsdienst der Stuttgarter Kriminalpolizei an.
Eine Stunde später meldeten sich die Kollegen zurück und berichteten, der besagte Bus würde in der Hofeinfahrt vor Kaufmanns Wohnhaus stehen. Ein Zivilwagen der Fahndung wurde in einiger Entfernung postiert.
Kepplinger vereinbarte, dass sie sich um fünf auf dem Parkplatz des zuständigen Polizeireviers treffen würden. Die Durchsuchung der Wohnung sollte eine Stunde später erfolgen. Bis dahin versprach der Kollege, die notwendigen Beschlüsse des Bereitschaftsrichters zu besorgen.
Sie beschlossen, die übrigen Datensätze bis zum nächsten Tag ruhen zu lassen und ein paar Stunden schlafen zu gehen. Obwohl es schon sehr spät war, lehnte Moritz das Angebot von Lea ab, ihn nach Hause zu fahren.
»Du kannst mich ja morgen früh abholen«, schlug er stattdessen vor.
»Halb fünf?«
Er nickte.
Lea sah auf die Uhr ihres Mobiltelefons. »Also, bis in drei Stunden. Gute Nacht.«
»Gute Nacht.«
Die Bilder der Mädchenleiche machten ihn beinahe wahnsinnig. Krampfhaft suchte er nach einer Ablenkung, um zur Ruhe zu kommen. Alkohol und Schlafmittel zeigten keine Wirkung, obwohl er von beidem bereits einiges intus hatte. Am Abend hatte ihm seine Lebensgefährtin eröffnet, dass sie sich von ihm trennen würde. Er hatte sich alle Vorwürfe angehört, ohne etwas einzuwenden. Als sie ihn nach längerem Schweigen gedrängt hatte, etwas dazu zu sagen, hatte er nur erklärt, dass er sie verstehen würde und alles so sei, wie sie gesagt hätte. Sie hatte ihm eine schallende Ohrfeige verpasst und wütend das Haus verlassen. Als sie weg war, überkam ihn ein Gefühl des Triumphs. Er hatte ohnehin
Weitere Kostenlose Bücher