Hochsommermord: Kriminalroman (German Edition)
die Knie an und versuchte sich aufzurichten. Als er plötzlich die kühle Stimme seines Peinigers hinter sich hörte, erschrak er.
»Bleib sitzen!«
Erich Sander trat hinter dem Brunnen hervor und stellte sich vor ihn. Resigniert ließ er sich auf den nasskalten Boden zurückfallen.
»Und? Hast du herausgefunden, wohin dich unsere Spritztour geführt hat?« Wie auf Befehl sah er sich nochmal um und nickte. Während der gesamten Fahrt hatte er es geahnt. Jetzt waren seine Befürchtungen wahr geworden. Was Erich nun mit ihm vorhatte, wollte er sich nicht ausmalen.
»Gut.« Sander kniete sich vor ihn hin. »Dann lass uns jetzt mit unserem kleinen Spiel beginnen.«
»Ich verstehe nicht.«
»Was soll das heißen, du verstehst nicht?«
Sander packte ihn am Revers und schüttelte ihn.
»Du verdammter Dreckskerl! Kennst dich doch so gut aus auf dem Reußenstein!« Sander sah ihn hasserfüllt an.
»Was, was …«, stammelte Gerd Jessen.
Noch einmal schlug Sander ohne Vorwarnung zu. Der Fausthieb traf ihn erneut im Gesicht. Er bäumte sich vor Schmerzen auf. Die Schreie hallten von den Wänden der Burgmauer in den Innenhof zurück. Blut schoss aus der aufgebrochenen Verletzung. Sander fasste ihn an beiden Schultern und zerrte ihn auf die Beine.
»Du zeigst mir jetzt das Versteck!«, brüllte er.
Jessen starrte seinen Peiniger verständnislos an.
»Zeig mir das verdammte Versteck!«
Er spürte eine Schwellung am linken Auge. Mit dem anderen konnte er die Umgebung nur noch schemenhaft wahrnehmen. Er hatte das Gefühl, sein Kopf würde im nächsten Moment platzen. Sander stieß ihn grob in Richtung des alten Wehrturms. Ein eiskalter Wind fegte orkanartig über die alte Burganlage. Als sie in den windgeschützten Innenraum des Turms traten, spürte er die Kälte nicht mehr. Stattdessen überfiel ihn Todesangst. Sein Körper zuckte unkontrolliert. Immer wieder wurde der Raum für Sekundenbruchteile in das gleißende Licht eines Blitzes getaucht, während der man den schmalen Lichtschlitz erkennen konnte, der in die dicke Mauer eingearbeitet war.
»Und?« Erich Sanders Stimme wurde hysterisch.
»Hast du ihr damals gesagt, sie soll da durchklettern?«
Beklommen sah Jessen zu der schmalen Öffnung in der Wand.
»Ich …«
»Hast du oder hast du nicht?«
Die Stimme ließ keinen Widerspruch zu.
»Ja.«
Wieder durchzuckte ein Blitzlicht den Raum. Für einen Moment blickte Gerd Jessen in die feindseligen Augen seines Gegenüber.
»Du Dreckschwein!« Sander gab ihm eine Ohrfeige und drängte ihn zu der Fensteröffnung.
»Dafür wirst du jetzt büßen!«
Wieder erhielt er einen kräftigen Stoß gegen die Schulter und stürzte nach vorne. Im letzten Moment konnte er sich auf die Seite drehen. Sander stand sofort wieder neben ihm und forderte ihn auf, ins Freie zu klettern. Er zögerte. Sollte das sein Ende sein?
Sander schlug nun wie ein Besessener auf ihn ein und drängte ihn gegen den schmalen Steinsims. Mit letzter Kraft widersetzte er sich. Doch Sander schlug ihm erneut mit der Faust ins Gesicht. Gerd Jessen kämpfte gegen die Ohnmacht. Er musste bei Bewusstsein bleiben, sonst war er verloren. Aber wie lange würde er sich noch wehren können? Er versuchte, mit den Füßen zu treten. Sander reagierte mit einer ganzen Serie von Fußtritten. Ein Tritt in die Magengrube raubte ihm für einen Moment den Atem. Er drehte sich auf die Seite und versuchte sich aufzurichten. Plötzlich traf eine Fußspitze mit voller Wucht seinen Brustkorb. Gerd Jessen kippte vornüber und stürzte auf den harten Lehmboden.
In dem Moment, als Kepplinger den Namen der Burgruine auf der Karte las, war ihm Sanders Vorhaben klar.
»Verdammt!«, rief er entsetzt. Alle starrten ihn an.
»Er ist mit Jessen auf den Reußenstein gefahren!«, erklärte er bestürzt. »An den Ort, an dem seine Tochter vor sechzehn Jahren in den Tod gestürzt ist. Ist euch klar, was er mit ihm vorhat?«
Die Kollegen reagierten fassungslos.
»Du meinst, er will Jessen auf dieselbe Weise umbringen?« Markus Ackermann stand die Bestürzung ins Gesicht geschrieben.
»Genau, davon gehe ich aus. Wir müssen so schnell wie möglich dorthin. Anja, du bleibst auf der Dienststelle. Alle anderen kommen mit!«, ordnete er an. »Nehmt eure Schutzwesten und Taschenlampen mit.«
Moritz setzte sich mit Lea zusammen in das Führungsfahrzeug von Markus Ackermann. Der Tross der Einsatzfahrzeuge setzte sich mit quietschenden Reifen in Bewegung.
»Wie lange werden wir ungefähr
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