Hochzeit auf Raten
gute Kameraden zusammen.
Das Hotel lag wie eine Streichholzschachtel zu unseren Füßen. In den Tälern rüsteten sich die ersten Schatten zum Aufstieg, während die Bergketten in strahlendem Weiß den seidenblauen Himmel zerschnitten. Der Wind jagte tausende Fähnchen aus feinsten Schneekristallen über den Hang.
Es war der Fremde, der den Bann brach.
»Welche Abfahrt nehmen wir?« fragte er mürrisch.
»Den Steilhang natürlich«, erwiderte Isabell in einem Ton, der keinen Zweifel daran ließ, daß sie sich auch eine Felswand hinuntergestürzt hätte, um uns in Schwierigkeiten zu bringen.
»Der Steilhang ist nichts für junge Damen.«
Sie warf ihm einen Blick zu, daß ich an seiner Stelle tot umgefallen wäre. Dann gab sie sich einen Ruck und glitt genau dort hinunter, wo es nichts für junge Damen war.
Der Fremde glotzte ihr mit offenem Mund nach.
»Donnerwetter«, murmelte er, »wenn das bloß gutgeht.«
Ich zweifelte nicht eine Sekunde daran, daß es gutgehen würde. Frauen haben einen speziellen Schutzengel, wenn es gilt, einen Mann zu verblüffen.
»Ihre Schwester ist eine ungewöhnliche junge Dame«, stellte er anerkennend fest.
»Sie ist in hervorragender Form«, bemerkte ich gleichmütig, während ich mir die Skier anschnallte. »Man möchte nicht glauben, daß sie drei Kinder hinter sich hat.«
»Drei Kinder?«
Er sah mich an, als hätte er mitten auf dem Stephansplatz seine Hosen verloren.
»Bewundernswert, nicht wahr?«
»Sie — sie ist verheiratet?«
»Seit vier Jahren. Und stellen Sie sich vor, noch dazu mit einem Berufsboxer. Der Kerl ist ebenso gewalttätig wie eifersüchtig. Bereits dreimal vorbestraft. Na, Sie werden ihn ja selbst kennenlernen. Er kommt morgen nach.«
Jedes meiner Worte saß mitten in seinem Gesicht.
»Ihr — ihr Mann kommt morgen nach?« wiederholte er noch immer fassungslos und sah dabei aus wie ein Schaf.
»Leider«, seufzte ich. »Wir werden wieder tausend Scherereien mit ihm haben.«
Mit Befriedigung konstatierte ich, daß er plötzlich große Schwierigkeiten hatte, die Strammer seiner Bindung zuzukriegen. Außerdem fragte er mich nach seinen Handschuhen, obwohl er sie ohnehin an den Händen hatte.
»Wir wollen aufbrechen«, rief ich munter. »Übernehmen Sie die Führung?«
Er nickte widerstandslos und schwang mit verkniffenen Lippen ab. Ich sah ihm nach, das Kinn auf die Skistöcke gestützt, in behaglicher Erwartung eines Schauspiels, dessen Wirkung einer öffentlichen Hinrichtung gleichkommen mußte.
Ich wurde nicht enttäuscht. Nachdem in den ersten Sekunden noch alles gutgegangen war — er war zweifellos ein geübter Fahrer, aber in der einkalkuliert schlechten Verfassung —, spitzten sich die Ereignisse sehr rasch in dramatischer Weise zu. Er fuhr von Anfang an viel zu schnell und dachte sichtlich mehr an den Berufsboxer als an Schnee und Gelände. Die ersten vereisten Bodenwellen kosteten ihn die elegante Haltung. Einmal zuckte er mit dem Oberkörper nach vorne und einmal nach hinten, ohne jedoch die Balance zur Gänze zu verlieren. Dabei schlug er mit den Stöcken um sich, als stünde er auf dem Fechtboden. Schon glaubte ich, es wäre alles vorbei, als er unvermutet wieder Haltung anzunehmen begann. Doch schon wenig später geriet er neuerlich in Not. Nun flatterte er wie ein Riesenvogel in sausender Fahrt direkt auf einen Felsblock zu, an dem lediglich auszusetzen war, daß ich ihn nicht selbst dorthin gepflanzt hatte. Ich sah, wie er verzweifelt versuchte, vorbeizuschwingen. Vergebens! Er geriet aus der Bahn, flog ein wenig in den Himmel und versank dann in einer mächtigen Schneewolke. Der Rest war ein Knäuel von Armen, Beinen und Skiern.
Hundert Meter tiefer fuhr Isabell in großen Bögen sicher zu Tal.
Ich stieß einen Pfiff aus und setzte mich in Bewegung. Vorsichtig schwang ich den ersten Hang aus. Er war verdammt steil und stellenweise so eisig, daß man die Kanten mit aller Kraft einstemmen mußte. Der weiche Pulverschnee in der Mulde war eine willkommene Erholung. Tief atmend ließ ich die Bretter laufen, zufrieden in den Knien federnd. Doch ehe ich mich versah, war ich wieder draußen auf eisigem, hartem Grund, der
wie ein erstarrtes, wogendes Meer unter meinen Skiern lag. Der Fahrtwind trieb mir die Tränen in die Augen, daß Berge, Hügel und Bäume zu bizarren Formen ineinanderflossen. Ich war kaum mehr imstande, die holpernden Skier zu bändigen; hundert Hände zerrten sie in alle Himmelsrichtungen. Schon bereitete ich
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