Hochzeit im Herrenhaus
nicht, das Dilemma ihrer Patentante zu erläutern. Allerdings erwähnte sie nicht, wie sie Lady Pelhams Widerstreben beurteilte, Greythorpe Manor zum jetzigen Zeitpunkt zu besuchen.
Gerade das schien den Viscount zu interessieren. “Trotz Ihrer flüchtigen Bekanntschaft mit diesem Draycot glaube ich nicht, dass Sie sich kein Bild von ihm machen konnten.”
Um ihre sanft geschwungenen Lippen spielte ein schwaches Lächeln, bevor sie den Kopf wieder zu den tanzenden Flammen im Kamin wandte. “Nach meiner Ansicht hat Lady Pelham seinen Charakter richtig eingeschätzt. Ich fürchte, die Gefühle anderer Menschen sind ihm gleichgültig.” Nun betrachtete sie ihn wieder, und er entdeckte die grünen Punkte in den Tiefen ihrer schönen grauen Augen. “Außerdem erkennt meine Patentante den Ernst der Lage. Derzeit wäre es sicher ein schwerer Fehler, Helens Trennung von Draycot zu erzwingen.”
“Also glauben Sie ebenfalls, er würde meine Schwester überreden, mit ihm durchzubrennen?”
“Ja, diese Gefahr besteht durchaus”, antwortete sie wahrheitsgemäß. Nach einem tiefen Atemzug fuhr sie fort: “Gestern Abend fand ich eine Gelegenheit, Helen mit Ihrer Cousine Louise zu vergleichen. Obwohl der Altersunterschied nur zwei Jahre beträgt, ist Helen ganz anders – nämlich überaus selbstbewusst und erstaunlich reif.”
“Trotzdem lässt sie sich von einem Mitgiftjäger betören”, warf Lord Greythorpe ein.
“Ja, das stimmt. Aber welcher unerfahrenen jungen Dame würde die besondere Aufmerksamkeit eines attraktiven Gentleman
nicht
schmeicheln? Und Draycot ist zweifellos ein Adonis, Sir! Sogar
ich
musste blinzeln, als er den Salon meiner Patentante betrat. Und seien Sie versichert – das hübsche Gesicht eines Mannes lässt mein Herz seit Jahren nicht mehr höher schlagen!”
Vielleicht war es ein Trugbild, vom Widerschein der lodernden Flammen bewirkt, aber Annis glaubte einen Mundwinkel des Viscounts zucken zu sehen, bevor er sich über das Kinn strich und gründlich zu überdenken schien, was er soeben gehört hatte.
“Niemals würde ich behaupten, Ihre Halbschwester wäre lebensklug genug, um keine Ratschläge zu brauchen, Sir”, fügte sie hinzu, während er den Teppich inspizierte. “Aber mit der Zeit wird ihr gesunder Menschenverstand siegen, und dann müsste sie Draycot durchschauen. Lady Pelham möchte mit ihrer Nichte die Party besuchen, die Anfang April hier stattfinden soll. Dann würde Helen ihre Verwandten kennenlernen. Aber wenn meine Patentante Ihre Einladung annimmt, Sir, und mit Helen schon vorher mehrere Wochen hier verbringt, würde der Eindruck entstehen, sie hätte das Mädchen absichtlich dem Einfluss des jungen Mannes entzogen.”
“Und warum möchte sie mit meiner Halbschwester nächste Woche nach Devon fahren?” Der unverhohlene Sarkasmus irritierte Annis nicht im Mindesten.
“Aus einem ganz bestimmten Grund. Wie Sie sich vielleicht entsinnen, Sir, wurde diese besondere Einladung schon lange vor Draycots Ankunft in Bath ausgesprochen und angenommen. Auch vor
Ihrem
ersten Brief an Lady Pelham. Zunächst freute sich Helen geradezu überschwenglich auf die Geburtstagsfeier ihrer besten Freundin. Das änderte sich erst, nachdem Draycot ihren Weg gekreuzt und sie angefleht hatte, die Stadt nicht zu verlassen. Klugerweise erhob Lady Pelham keinen Protest und verkündete nur, sie würde an ihren eigenen Plänen festhalten. Falls Helen das wünsche, solle sie in Bath bleiben – vorausgesetzt, sie würde in das Haus einer Dame ziehen, die mit Ihrer Ladyschaft eng befreundet ist. Da beschloss Helen, ihre Tante nach Devonshire zu begleiten, obwohl ihr Verehrer das mit aller Macht verhindern will. Während meines kurzen Aufenthalts in Bath erzählte sie mir, der junge Mann habe sie ermutigt, einige Wochen bei ihren Verwandten in Hampshire zu verbringen. Sogar
sie
fand das seltsam, nachdem er beteuert hatte, das verlängerte Wochenende, das sie in Devonshire verleben würde, könnte er nicht ertragen. Und so teile ich die Meinung meiner Patentante – irgendetwas stimmt nicht mit Mr. Draycot. Offenbar hat er allen Grund, Helen und Lady Pelham von Devonshire fernzuhalten.”
Diesen Worten folgte ein längeres Schweigen, das der Viscount schließlich brach: “Sagten Sie vorhin, diese Geburtstagsfeier finde in Okehampton statt?”
Annis nickte und beobachtete, wie er aufstand. Die Stirn gerunzelt, trat er wieder ans Fenster.
“Was Sie mir soeben mitgeteilt haben, werde ich
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