Hochzeit im Herrenhaus
Porzellantasse hoch und enthüllte einen winzigen Kieselstein, der Sarah und Louise veranlasste, erneut in ihre Börsen zu greifen und weitere Pennys auf den Tisch zu legen. “Seien Sie nicht zu entmutigt, meine Damen”, sagte sie fröhlich. “Immerhin dient dieses Spiel einem guten Zweck. Mein Gewinn wird in der Kasse für die Armen landen. Vorerst lässt das Tauwetter noch auf sich warten. Aber ich werde wohl kaum lange genug hierbleiben, um das gute Werk am Sonntag nach dem Kirchgang persönlich zu vollbringen.”
Da sie keine Antwort erhielt, blickte sie auf und sah nun Sarahs Lächeln erlöschen. Niedergeschlagen senkte Louise den Kopf. Wie schmeichelhaft – keine der beiden schien ihre Abreise herbeizusehnen … Wie der Hausherr darüber dachte, ließ er sich nicht anmerken. Seine Miene wirkte unergründlich wie eh und je. Die Augen halb geschlossen, beobachtete er die Ereignisse.
“Wollen Sie Ihr Glück nicht auch versuchen, Sir?”, forderte sie ihn auf.
Dazu konnte sie ihn nicht verleiten. “Ich habe nichts gegen Glücksspiele einzuwenden, Miss Milbank. Aber ich weigere mich, daran teilzunehmen, wenn mir nicht die geringste Aussicht auf einen Gewinn geboten wird. Eine Partie Piquet – nun, das wäre etwas anderes.”
Dieser Herausforderung begegnete sie mit einem mutwilligen Lächeln, das reizende Grübchen in ihre Wangen zauberte. “Oh, Sie überraschen mich, Sir! Wollen Sie sich wirklich mit einer Frau messen, die von einem echten Meister verschiedener Tricks unterrichtet wurde – und die mindestens ein Dutzend Mittel und Wege kennt, um beim Kartenspiel zu schwindeln?”
Statt die Provokation zu beantworten, stand er auf, schlenderte zum Spieltisch und kehrte mit einem funkelnagelneuen Kartenpäckchen zurück. Nach kurzem Zögern ging sie auf seinen Vorschlag ein, obwohl sie nicht an seinen Beweggründen zweifelte. Offenbar wollte er sie einer Prüfung unterziehen. Und diese Vermutung bewahrheitete sich, als er zu einem Spiel überging, das ein größeres Geschick verlangte.
Wie sich bald zeigte, war er ein ausgezeichneter Spieler, sehr versiert und – noch wichtiger – bemerkenswert diszipliniert. Immer wieder wechselten bescheidene Summen den Besitzer, und am Ende des Abends waren die Erfolge gleichmäßig verteilt.
“Kompliment, Miss Milbank”, lobte der Hausherr und hielt Annis zurück, als sie aufstehen und den Damen folgen wollte, die den Salon bereits verlassen hatten. Eine Zeit lang musterte er sie schweigend, nur ein angedeutetes Lächeln zeigte sich um seine Mundwinkel. “In der Tat, Sie waren eine würdige Gegnerin. Und angesichts der Enthüllungen über Ihren Großvater und Ihre offenbar sehr enge Bindung zu diesem ehrenwerten Gentleman wäre ich erstaunt gewesen, hätten Sie
nicht
von ihm gelernt, wie man seinen Mitmenschen Geld abknöpft. Doch ich wäre genauso überrascht, wenn Sie diese fragwürdigen Fähigkeiten nutzen würden, um sich zu bereichern.”
“Wie gut Sie mich schon nach so kurzer Zeit kennen, Sir …”, erwiderte Annis.
Jetzt lächelte er wirklich und wahrhaftig, und dieser Anblick brachte sie beinahe aus der Fassung. Natürlich würde sie niemals zugeben, ihre Atemzüge und ihr Puls hätten sich plötzlich beschleunigt. Und doch – in ihrer Brust entstand ein völlig neues Gefühl, das sie nicht zu benennen vermochte.
Wenn Seine Lordschaft auch nicht zu den hübschesten Männern ihres Bekanntenkreises zählte – sein Lächeln erschien ihr einzigartig. Und unvergesslich …
4. KAPITEL
N ach der dritten Nacht im luxuriösen Vierpfostenbett erwachte Annis und stellte fest, dass es zu tauen begonnen hatte. Wasser rann plätschernd aus den Dachrinnen. Als sie aus dem Fenster schaute, sah sie die weiße Pracht schmelzen. Schon am vergangenen Nachmittag hatte Dr. Prentiss den Schneewehen getrotzt und Seiner Lordschaft den überfälligen Besuch abgestattet.
Die kurze Untersuchung verlief sehr befriedigend, dann gesellte er sich zu den Damen in den Salon und prophezeite, das Tauwetter würde bald einsetzen, denn er habe auf der Fahrt nach Greythorpe Manor einen deutlichen Temperaturanstieg bemerkt.
Obwohl Annis ihre Mitmenschen niemals vorschnell beurteilte, hatte sie den guten Doktor auf Anhieb gemocht. Äußerst gewissenhaft, mit einem sanften Wesen, das sogar die ängstlichsten Patienten beschwichtigen musste, und überaus klug, erinnerte er sie lebhaft an ihren Vater. Und so fand sie es nicht verwunderlich, dass seine Wetterprognose eintraf. Was sie
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