Hochzeit im Herrenhaus
erforderlichen Abwechslungen zu bieten. Deshalb wäre ich sehr froh, wenn sie sich mit Helen besser verstehen würde.”
“Nachdem sie so lange voneinander ferngehalten wurden, ohne eigenes Verschulden, wäre es sicher erfreulich, wenn sie gut miteinander auskämen”, bemerkte Annis, da sie glaubte, Seine Lordschaft würde einen Kommentar erwarten. “Natürlich wird es eine Weile dauern, bis schwesterliche Bande entstehen.”
“Damit haben Sie völlig recht, Miss Milbank.” Nun schaute er ihr wieder in die Augen. “Und leider steht der Faktor Zeit nicht auf meiner Seite. Aber die Vorsehung. Denn sie führte eine Frau in mein Haus, die …”, sekundenlang verstummte er, um ihr zum ersten Mal ein Lächeln zu schenken, das
nicht
verhalten wirkte, “… die das wundervolle Talent besitzt, auf ihre Mitmenschen einzugehen und ihnen alle Befangenheit zu nehmen. Wie sämtliche Hausbewohner inzwischen erkannt haben, ist Ihre Gegenwart unter meinem Dach ein wahrer Segen, Miss Milbank. Zum Beispiel haben Sie die Kluft zwischen meiner Schwester und meiner Cousine auf ganz natürliche Weise überbrückt – und die Atmosphäre merklich entspannt.”
Noch nie hatte Annis ein so nettes Kompliment gehört. Aber obwohl sie sich geschmeichelt fühlte, blickte sie den Konsequenzen dieses unerwarteten Lobs etwas misstrauisch entgegen. Allzu lange blieb sie nicht im Ungewissen.
“Diese Atmosphäre würde ich gern erhalten, wenn es möglich wäre”, fuhr der Viscount fort, “insbesondere um Sarahs willen. In der nächsten Zeit wird sie alle Hände voll zu tun haben, um die Geburtstagsfeier für unsere Großmutter vorzubereiten. Dann würde ihr eine hilfreiche Hausgenossin, die sich um Louise kümmert, die Mühe erleichtern.” Greythorpe lächelte wieder – diesmal noch breiter. “Das ist sicher nicht die höflichste Einladung, die Sie je gehört haben, Miss Milbank. Aber ich möchte ehrlich mit Ihnen reden, so wie Sie mit mir. Hier geht es nicht um Höflichkeit. Ich lade Sie aus ganz bestimmten Gründen ein. Und glauben Sie bitte nicht, ich würde eine Gegenleistung fordern. Nichts könnte mir ferner liegen. Was immer Sie auch beschließen werden – ich bestehe nicht auf Helens Besuch in den nächsten Wochen.”
Wortlos hielt Annis seinem Blick stand, bis der Viscount wieder aufstand und ans Fenster zurückkehrte. War es richtig, hierzubleiben? Sie verstand ihr Zögern nicht – wo sie doch eben noch enttäuscht gewesen war, weil es keinen stichhaltigen Grund gegeben hatte, die Abreise hinauszuschieben. Solche widersprüchlichen Gefühle passten nicht zu ihr.
Nach einer Weile begann der Viscount wieder zu sprechen, und sie schenkte ihm die Aufmerksamkeit, die sie ihm schuldete. “Vielleicht haben Sie in Leicestershire Verpflichtungen, die Sie daran hindern, Ihren Besuch in Greythorpe Manor zu verlängern. Also möchte ich Sie nicht bedrängen. Würden Sie mir wenigstens die Ehre erweisen, ein oder zwei Tage über meinen Vorschlag nachzudenken? In der Zwischenzeit werde ich Ihre Rechnungen in der Poststation begleichen und Ihr restliches Gepäck unverzüglich hierherbringen lassen. Das Mindeste, was ich tun kann, um mich für Ihre erfreuliche Anwesenheit zu revanchieren.”
Als sie nicht antwortete, drehte er sich um und begegnete einem faszinierenden Ausdruck in den graugrünen Augen, die ihn von Anfang an bezaubert hatten.
“Nachdem Sie mein Ansinnen nicht sofort ablehnen, Miss Milbank – darf ich hoffen, Sie werden uns Ihre Gesellschaft noch eine Zeit lang gönnen? Wenigstens eine weitere Woche?”
“Gewiss, Sir”, stimmte Annis zu und starrte einen imaginären Punkt über seiner linken Schulter an. “Immerhin werde ich eine Gelegenheit finden, meine unersättliche Neugier zu befriedigen, die schon so oft gerügt wurde.”
“Würden Sie mir das etwas näher erklären, Miss Milbank?”
“Ich würde gern zu der Stelle zurückkehren, wo ich Sie vor drei Tagen fand, Sir. Vielleicht entdecke ich irgendwelche Spuren, die auf die Identität des Angreifers hinweisen.”
Gleichmütig zuckte er die Achseln. “Ich nehme an, der Kerl wird nicht mehr auftauchen. Trotzdem werde ich Sie begleiten, wenn Sie Nachforschungen anstellen möchten, Miss Milbank. Darauf bestehe ich sogar, für den unwahrscheinlichen Fall, der Schurke könnte sich immer noch in dieser Gegend herumtreiben. Sollen wir in – sagen wir – in einer Stunde aufbrechen? Wir würden meinen Phaeton benutzen. Oder finden Sie einen offenen Wagen in
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